Verlockendes Dunkel
bedeutete, eine Chance aufzugeben, selbst mit heiler Haut davonzukommen, dann musste es eben sein.
»Brendan?«, ertönte eine Stimme unten. »Ich weiß, dass du gesagt hast, ich solle draußen warten, aber …« Daz’ Kopf erschien über dem Geländer, und seine Augen wurden noch runder hinter den Brillengläsern. »He! Das ist nicht fair!«
Genau die Ablenkung, die Brendan brauchte. Der Moment, um den er gebetet hatte.
Der Kopf seines Gegners fuhr herum, und die Macht des Fluchs ließ nach.
Brendan zwang seinen Körper zu gehorchen, warf den Arm hoch und umklammerte die Hand des Mannes mit dem Messer. Eine scharfe Drehung, und die Knochen brachen.
Der Ganove schrie, und das Messer glitt ihm aus der Hand.
Ein Schatten fiel über Brendan, doch seine Sicht hatte sich zu einem roten Punkt verengt. Er sah nur seinen Gegner, kannte nur den Rausch des Kampfes.
Instinkt setzte alles andere außer Kraft.
Mit einem Knurren tierischen Zorns rollte er sich unter dem Kerl hervor und ergriff sein Messer, um es dem Ganoven zwischen die Rippen zu stoßen.
»Douglas!«, schrie ein Mann. »Wir haben das Mädchen! Tu nichts Unüberlegtes, oder sie ist tot!«
O Gott! Elisabeth. Sie hatten sie in ihrer Gewalt. Wussten sie, was für eine Waffe sie da hatten? Er konnte nichts tun. Ihm waren die Hände gebunden.
Von Übelkeit erfasst und zitternd, trat Brendan zurück, und seine Sicht war nicht mehr rot, sondern schwarz von all den Toten. Hinter dem Rauschen von Wind in seinen Ohren hörte er nur Daz’ überraschte Stimme.
»Ich muss schon sagen, das hatte ich überhaupt nicht kommen sehen.«
Kapitel Dreiundzwanzig
E lisabeth erwachte mit rasenden Kopfschmerzen und pochendem Kinn. Eine ganze Seite ihres Gesichtes fühlte sich wund an. Es war auch nicht gerade eine Hilfe, dass das Zimmer sich hob und senkte und ihr den Magen in die Kehle trieb.
Brendan. Er hatte schon wieder diesen verflixten Schlafzauber gewirkt.
Sie versuchte, sich aufzurichten, wobei sie fast gegen einen nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernten Deckenbalken stieß.
Sie befand sich nicht in einer armseligen Hütte. Kein Hund war da, der ihr die Nase leckte. Kein Brendan, der spöttisch ihr Erwachen kommentierte. Überhaupt kein Brendan, soweit sie sehen konnte.
Schlimmer noch. Viel schlimmer.
Die Erinnerungen kehrten zurück und verdreifachten das Pochen in ihren Schläfen, bis sie den Kopf zwischen die Knie legen musste, um ihr Abendessen bei sich zu behalten. So blieb sie ein paar Minuten sitzen, erging sich in Selbstmitleid und murmelte ein paar ausgesuchte Flüche. Erst dann erhob sie den Blick, um festzustellen, wo sie war und wie zum Teufel sie von hier entkommen konnte.
Sie saß neben einem Stapel von dicken Tauen zusammengehaltener Fässer. Bis auf ein paar schwache Streifen Licht, die aus einem Gitter über ihr herunterfielen, herrschte Dunkelheit im Raum. Neben ihrem Ohr plätscherte Wasser, und über ihrem Kopf trampelten bestiefelte Füße hin und her. Darüber hinaus hörte sie Taue knarren und Segel flattern.
Máelodors Männer werden nicht gelten lassen, dass du den Stein nicht hast, und sie können mit Misserfolgen nicht umgehen.
Angst stieg von ihren zitternden Beinen in ihren Magen auf und drehte ihn ihr von Neuem um. Ihr Stolz und ihre praktische Veranlagung kamen erst weit, weit nach der grässlichen, animalischen Furcht, die sie taumelnd aufspringen ließ.
Sie stieg die Leiter zu dem Gitter hinauf und hämmerte dagegen, bis ihre Fäuste bluteten. Schrie, bis ihre Lunge brannte und sie nicht mehr schlucken konnte, weil ihr Hals so schmerzte.
Und sie nicht besser als vorher dran war.
Also gab sie es auf, strich sich das Haar aus dem Gesicht und wischte ihre aufgeschrammten und blutenden Hände an ihrem Rock ab. Was würde es ihr auch schon bringen, wenn sie floh? Solange sie nicht daran dachte, sich schwimmend in Sicherheit zu bringen, saß sie hier fest.
Sie kauerte sich wieder auf dem Boden zusammen und kniff ganz fest die Augen zu, weil sie Angst hatte, der am Rande ihres Bewusstseins lauernden Panik nachzugeben, obwohl es durchaus verlockend war, sich in Hysterie zu flüchten.
War Brendan tot? War er mit ihr zusammen verschleppt worden? Und wenn ja, wo war er? Was wollten sie von ihr? Die offensichtliche Antwort verursachte ihr solche Übelkeit, dass sie schnell an etwas anderes dachte. Hatte Rogan überlebt? In ihrem Magen rumorte es wieder. Also war auch das kein guter Gedanke. Hatte sie heute einen Mord begangen?
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