Verlockendes Dunkel
ich kann Sie doch nicht weiter Killer nennen.«
»Der Name ist so gut wie jeder andere.«
»Warum haben Sie sich mir so gezeigt?«
Ein kurzes Schweigen folgte, als überlegte er sich seine Antwort gut. »Es war ein Risiko, jedoch eins, das ich für nötig hielt. Bisher hatten wir beschlossen, uns der Rasse der Anderen nicht zu erkennen zu geben, aber die Ereignisse lassen uns keine andere Wahl mehr. Wir sind nicht so dumm zu glauben, dass wir in einen Krieg zwischen Rassen nicht auch hineingezogen würden, ganz egal, wie sehr wir uns von allen abgeschottet haben.«
Elisabeth hörte Stoff rascheln und einen deftigen Fluch, über den sie trotz allem lächeln musste. Killer mochte ein Gestaltwandler sein, doch sein Gefluche war sehr menschlich. »Wie haben Sie uns gefunden? Als ich Sie das letzte Mal sah, hatten Sie sich in den Knöchel eines Mannes verbissen.«
Ein kurzes Auflachen. »Das stimmt. Ich folgte Ihrer Spur an der Küste entlang nach Norden bis nach Balbriggen, bevor ich sie verlor. Dann, als ich Sie gerade wiedergefunden hatte, brachte mich der magische Sturm vom Kurs ab. Es dauerte länger, als ich hoffte, wieder Land zu erreichen.«
»Soll das heißen, dass …«
»Ich bin ein Gestaltwandler.« Sein Ton besagte, dass das Thema damit für ihn beendet war. »Sie können sich jetzt umdrehen. Ich bin angezogen.«
Er hatte nur Rogans Hose und Stiefel genommen, die Leiche in den Mantel eingehüllt und Rogan, mit geschlossenen Augen und die Hände vor der Brust verschränkt, unter freiem Himmel aufgebahrt. Während Elisabeth zusah, nahm Killer auch Rogans Messer an sich.
»Können Sie ihn nicht begraben?«, fragte sie.
»Hätten wir die Zeit dazu, würde ich ihn verbrennen, wie es sich gehört, doch so, wie es ist, wird das genügen müssen.«
Das Licht wurde schwächer, als ein seltsam graues Zwielicht durch das Laub der Bäume fiel, der Wind erstarb, und die Vögel verstummten, als wartete die Welt darauf, was als Nächstes geschehen würde.
Killer hob den Kopf und schloss die Augen. Elisabeth erwartete schon fast, dass er schnüffeln würde wie der Hund, der er gewesen war – oder war – oder … was auch immer. Über diese neue Entdeckung würde sie sich später Gedanken machen.
»Wir müssen gehen«, sagte er. »Schnell.«
»Wohin? Rogan ist tot.« Sie schluckte den Kloß, der in ihrer Kehle saß, herunter. »Er war es, der Brendans Spur verfolgen konnte. Ich bin völlig orientierungslos ohne ihn.«
»Aber ich nicht. Und zusammen können wir Brendan retten, bevor Máelodor ihn bei der Wiederauferweckung benutzt.«
»Ihn benutzt …
»Später. Jetzt müssen wir uns beeilen.« Er reichte ihr die Hand, wieder mit dieser eigentümlich altmodischen Galanterie. Sie ergriff sie und fühlte seine kühle, raue Handinnenfläche und die Kraft in seinem durchtrainierten Körper.
Und folgte ihm in den Wald hinein.
Brendan konzentrierte sich und spürte den Brachlandlinien nach, die von dem umgestürzten Stein aus wie Speichen eines Rades unter der Erde verliefen. Langsam tastete er sich an dem starken Strom magischer Energie entlang, so wie ein Seemann eine Tiefenmessung vornehmen mochte. Hier und dort tauchte er tiefer ein, als er geschickt und behutsam seine eigene Magie in das Muster einflocht. Ein bisschen zu viel, und man lief Gefahr, seine Menschlichkeit in dem orkanartigen Ansturm von Magiermacht zu verlieren. Der Trick war, die Magieströme auf eine Weise zu beeinflussen, die ihre Macht lenkte, sie aber nicht verringerte.
Er konnte nur hoffen, dass seine seit so vielen Jahren nicht genutzten Fähigkeiten noch vorhanden waren, oder dies würde ein äußerst kurzlebiger Angriff sein.
Der Zauber, auf den er schließlich zurückgriff, war einer, den er einem griechischen Zauberbuch entnommen hatte, dessen Pergament durchsichtig vom Alter und dessen Schrift schon nahezu unleserlich gewesen war. Sein Vater hatte es während einer seiner ausgedehnten Reisen auf den Kontinent bei einem Buchhändler in Venedig gekauft, doch es war Brendan gewesen, der ein ganzes Jahr mit der Übertragung und Übersetzung dieses Buches verbracht hatte. Und weitere sechs Monate, um sich mit den ungewohnten Zaubertechniken vertraut zu machen. Er hatte noch immer den muffigen Geruch nach Staub, Alter, Tinte und altem Papier in der Nase, die der Belfoyl’schen Bibliothek anhafteten, und konnte die empfindlichen dünnen Seiten unter seinen Fingern spüren. Oder das helle oder nachlassende Licht sehen, das auf die
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