Verlockendes Dunkel
Wirtshausgästen fernzuhalten, doch Killers Winseln wurde immer lauter. Inzwischen schnüffelte er auch an der Türkante und schob die Pfoten in den Zwischenraum.
»Nur einen Moment, dann kommst du wieder, hörst du?«, befahl sie ihm.
Er bellte einmal und setzte sich gehorsam, während Elisabeth die Tür einen Spalt breit öffnete. Dann schoss er wie der Blitz hinaus, flitzte den Gang hinunter und verschwand um eine Ecke.
Eine halbe Stunde verging. Dann eine Stunde. Hatte Killer sie im Stich gelassen? Und Brendan auch? Keiner der beiden kam zurück.
Irgendwo bellte ein Hund, kläffte wild und knurrte böse. Dann hörte sie ein schrilles Aufjaulen, als wäre das Tier getreten oder verletzt worden.
Elisabeth riss die Tür auf. »Killer?«
Onwen döste mit gesenktem Kopf und einem eingeknickten Hinterbein.
Brendan striegelte sie, bis sie glänzte. Es gab ihm etwas zu tun, da er jetzt dringender denn je eine Beschäftigung brauchte. Eine Aufgabe, um das endlose Karussell von Was-wäre-wenn-Szenarien und Reuegefühlen zu stoppen.
Was wäre gewesen, wenn er sich – und sei es nur ein einziges Mal – gegen den zunehmenden Wahnsinn, der seinen Vater und die Neun befallen hatte, ausgesprochen hätte?
Was wäre gewesen, wenn er fortgegangen wäre, als ihm klar geworden war, wohin der Plan die Anderen führen würde?
Was, wenn er eingegriffen hätte, als Freddie sterbend in seinem brennenden Haus und zwischen den Leichen seiner Familie gelegen hatte?
Was, wenn er die Amhas-draoi selbst gewarnt hätte, statt Daz Ahern an seiner Stelle hinzuschicken?
Hätten die Geschehnisse dann einen anderen Verlauf genommen? Wäre Vater zu der gleichen Erkenntnis gekommen wie sein Sohn, oder hätte er Brendans Zögern als Schwäche und seine Bedenken als Verrat betrachtet? Hätten die Amhas-draoi ihm zugehört, oder hätten sie trotzdem wild und blindlings angegriffen, weil sie den Tod als einzige Möglichkeit ansahen, mit einem solch katastrophalen Unheil umzugehen, wie die Neun es zu entfesseln hofften? Hatte Vater noch im Sterben seinen jüngsten Sohn verflucht?
Es gab keine Antworten, egal, wie oft er hin und her überlegte. Nur noch mehr Fragen kamen auf. Noch mehr Schmerz. Noch mehr Stimmen, die seinen Schlaf vergifteten. Noch mehr Gesichter, die durch seine Träume geisterten.
Doch heute Abend waren es neue Fragen, die wie Sandflöhe in seinem Kopf herumschwirrten.
Was wäre passiert, wenn er es vor sieben Jahren geschafft hätte, den Sh’vad Tual den Amhas-draoi zu übergeben?
Was, wenn er nicht vor der Vergeltung hätte fliehen müssen? Wenn Máelodor mit dem Rest der Neun gestorben wäre?
Hätte er Elisabeth dann wie beabsichtigt geheiratet? Wäre er dann heute vielleicht ein gesetzter Ehemann und Vater, der seine Tage damit verbrachte, den verantwortungsbewussten Grundbesitzer zu spielen, und seine Nächte mit einer leidenschaftlichen Ehefrau?
In den Jahren seines Exils hatte er sich geweigert, sich diese Art von Fragen zu stellen. Die Zukunft war die nächste Stunde, der nächste Tag, die nächste Woche gewesen. Er hatte keine Energie erübrigen können, um tiefer zu blicken oder weiter vorauszuschauen.
Erst kürzlich hatte er begonnen, sich eine andere Existenz als die eines Flüchtlings vorzustellen. Aber es war zu lange her, seit er versucht hatte zu träumen. Er konnte nicht über seine Begegnung mit Scathach, dem Oberhaupt der Amhas-draoi, hinausblicken, die ihm hoffentlich die ersehnte Befreiung von der Last seiner vergangenen Taten bringen würde. Sowie er versuchte, darüber hinauszuschauen, war alles nebelhaft, unklar und verschwommen.
Alles außer einer wilden Mähne roten Haares und zwei betörenden braunen Augen.
Aus irgendeinem Grund hatte er immer gedacht, Elisabeth würde der einzige Mensch sein, auf den er sich verlassen konnte. Dass Lissa Fitzgerald in ihrem kindlichen Vertrauen in ihn nicht schwanken würde, selbst wenn alles andere um ihn herum zusammenbrach.
Und heute Nacht wollte er diese Theorie erproben.
Er krümmte und spreizte die Finger, als seine alte Verletzung sich wieder mit einem schmerzhaften Pochen bemerkbar machte. Die Furcht in Lissas Augen hatte ihm einen schweren Schlag versetzt. Er hatte nicht damit gerechnet, wie hart es ihn treffen würde. Elisabeth wusste von den Anderen und scheute trotzdem noch vor ihnen zurück.
Vor ihnen und vor ihm .
Er stieß ein raues Lachen aus.
Kluges Mädchen.
Kapitel Acht
D ank Jacks Gold hatte Brendan vorgehabt, eine Kutsche zu
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