Verlockendes Dunkel
ihm die Wahrheit über den Verrat seines Sohnes klar wurde. Als Liebe sich mit der gleichen tödlichen Kraft, mit der die Klinge ihn fällte, in Hass verwandelte und er Brendans Namen noch mit seinem letzten Atemzug verfluchte.
Würde auch Aidan in dem Glauben ins Grab gehen, dass sein Bruder sie alle verraten hatte?
Brendan warf den Kerzenständer wieder in die schwarzen Trümmer, wo er klirrend landete und silbern aufblitzte, bevor er aus der Sicht verschwand.
Dann kehrte er um und schlenderte die Henry Street hinunter, weg von dem verkohlten Haufen, der einst Kilronan House gewesen war.
»Madame Aranda sagte, du seist schon stundenlang hier draußen.«
Brendans Stimme, die plötzlich hinter ihr ertönte, glitt an Elisabeths Nervenenden entlang wie ein Funke an einer Zündschnur. Das Bewusstsein seiner Nähe brachte ihre Haut zum Kribbeln, und ihr Magen verkrampfte sich vor freudiger Erregung.
Sie blickte von dem Buch auf ihrem Schoß auf und war froh, die abstruse These, die sie gelesen hatte, einen Moment vergessen zu können. Es ging darin um Zeitreisen und die Auswirkungen von Vergangenheit und Zukunft auf die Gegenwart. Aber sie hätte genauso gut in uralten ägyptischen Hieroglyphen verfasst sein können, so unverständlich, wie sie war. Doch Elisabeth versuchte es, was immerhin schon etwas gelten sollte.
Brendan hatte die späte Nachmittagssonne im Rücken, die seinem Haar einen goldenen Glanz verlieh und den Rest von ihm in Schatten tauchte. Alles außer seinen Augen, die wie immer wie polierter Bernstein glänzten. Er beugte sich vor, um ihr das Buch aus der Hand zu nehmen, und las den Titel.
»Autsch. Falls du etwas suchtest, um dich zu Tode zu langweilen, hast du genau das Richtige gefunden.«
Sie griff wieder nach dem Buch. »Ich langweile mich absolut nicht. Dieses Werk ist äußerst aufschlussreich. Wusstest du, dass die sogenannten Unsichtbaren … die übrigens eigentlich Dämonen sind …«
Brendans Augen funkelten vor Belustigung. »Ja, ich denke, das eine oder andere Mal habe ich schon von ihnen gehört.«
Sie warf ihm einen bösen Blick zu. »Aber wusstest du, dass jemand vom Dunklen Hof, der den Körper eines menschlichen Wirts besetzt, für immer Zugang zu unserer Welt hat?«
Brendans Gesichtsausdruck verhärtete sich. »Ja. Doch ich wusste nicht, dass du davon Kenntnis hast.« Er schaute den Stapel Bücher neben ihr an. »Habe ich ein Monster geschaffen?«
»Bestimmt nicht. Aber diese Nachforschungen faszinieren mich. Ich hatte gehofft, du könntest mir ein paar Dinge erklären. Da ist ein Kapitel in einem von diesen …« Sie durchsuchte den Stapel Bücher, bis sie das gesuchte fand, und blätterte darin, während sie weitersprach. »Mir schien, als ginge es darin um Artus und den Fluch, doch irgendwie auch wieder nicht. Auf jeden Fall kann ich mir keinen Reim darauf machen.«
Er musterte sie neugierig. »Wer bist du, Fremde, und was hast du mit Elisabeth Fitzgerald getan?«
Sie schlug das Buch verärgert zu. »Ich wusste, dass du mich nur wieder aufziehen würdest.«
»Entschuldige, Lissa. Ich bin nur ein bisschen erstaunt. Du mochtest die Anderen nicht und wolltest nie etwas mit ihnen zu schaffen haben. Fast so, als fürchtetest du sie. Warum also dieses plötzliche Interesse?«
Sie hielt den Blick auf das Buch gerichtet, während sie sich mit Brendans Frage auseinandersetzte. Es war schwer zu erklären, falls überhaupt. Immerhin hatte sie keine prägende Offenbarung oder Ähnliches gehabt. Es war eher eine langsame, schleichende Erkenntnis, dass zwischen Furcht und Staunen eine nahezu unbestimmbare Spanne lag. Und vielleicht hatte sich dieser schmale Spalt endlich geschlossen. Oder möglicherweise war sie es auch nur leid geworden, im Dunkeln gelassen zu werden über Ereignisse, die sich auf eine intime, lebensverändernde Weise auch auf sie auswirkten.
»Es erscheint mir nur vernünftig, verstehen zu wollen, worauf ich mich durch eine Heirat mit dir einlasse.«
Brendan setzte sich zu ihr auf die Bank, und zum ersten Mal bemerkte sie den Staub auf seinen Stiefeln, den sauren Whiskey- und Rauchgeruch, der von ihm ausging, aber auch die dunklen Schatten unter seinen Augen und seinen grimmigen Gesichtsausdruck. Ärgerlicherweise schlug ihr Herz gleich schneller, als er sich das Haar aus dem Gesicht strich. »Ist es das, worum es geht, Lissa? Die Heirat? Um dich und mich? Ich kann die Gelübde sprechen und dir einen Ring an den Finger stecken, doch das macht uns zu nichts
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