Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
verantwortlich«, fuhr er fort. »Ich hoffe, du wirst sorgsam darüber nachdenken, wenn du dich anschickst, den nächsten Abschnitt deines Lebens zu beginnen. Du kannst dich nicht verantwortlich machen für ... für die Handlungen eines launischen und narzisstischen Bastards.«
»Oh, Gareth«, murmelte sie dankbar, »Eric ist noch nie treffender beschrieben worden.«
Gareth rang sich ein Lächeln ab. Eine Weile schritten sie schweigend den Pfad entlang, bis Antonia schließlich die Stille brach. »Erzähle mir mehr über das Trauern«, sagte sie. »Darüber, wie Juden trauern, meine ich.«
Gareth war unsicher, wie er es erklären sollte. Seine Eindrücke waren schließlich die eines Kindes. »Nun, nach der Beisetzung geht die Familie nach Hause, um über das Leben des Verstorbenen nachzudenken und für ihn zu beten. Sie tun das sieben Tage lang, es ist eine Zeit intensiver Trauer.«
» Sieben Tage?«
»Ja. In dieser Zeit geht man nicht aus dem Haus. Besucher kommen zu den Hinterbliebenen, um zu beten und über den Toten zu sprechen. Die Trauernden dürfen nur einfache Speisen zu sich nehmen, und sie genießen keinerlei Annehmlichkeiten wie ein müßiges Bad oder das Tragen von Schuhen. Wir verhängen unsere Spiegel und nehmen die Kissen von den Stühlen. Wir dürfen nicht arbeiten, nicht einmal an Arbeit denken, und entzünden eine besondere Kerze des Erinnerns. In dieser Woche beginnen wir damit uns selbst zu heilen und ehren die Erinnerung an denjenigen, den wir verloren haben.«
Als er zu Antonia schaute, sah sie ihn fragend an. Er bemerkte, dass er irgendwann beim Erzählen vom »sie« zum »wir« übergegangen war. Vielleicht war das charakteristisch für sein Leben, diese ständige Verwirrung, nie zu wissen, wohin man hingehörte.
»Für mich hört sich das wie ein Luxus an.« Antonias Stimme war tief und voller Emotionen. »In seinem Kummer ermutigt zu werden ... kaum vorstellbar.«
»Als ich ein Junge war, fand ich das Shivasitzen langweilig«, bekannte Gareth. »Aber jetzt, da ich älter bin, frage ich mich, ob es nicht eigentlich eine sehr weise Tradition ist. Eine Art von Luxus. In einem Trauerhaus hält man es für falsch zu versuchen die Hinterbliebenen in ihrem Kummer aufzuheitern oder sie davon abzulenken, an ihren Verlust zu denken.«
»Für jemanden, der diesen Glauben nicht praktiziert, bist du überraschend sachkundig, Gabriel.«
Sie gingen den Weg hinunter, der zum Pavillon und dem kleinen See dahinter führte. Gareth spürte, dass seine Anspannung größer wurde. »Jeder, den ich damals kannte, war jüdisch. Als kleiner Junge habe ich nichts anderes erlebt, wurde aber davon abgehalten, mich wie ein Jude zu verhalten. Ich weiß, dass meine Mutter es gut meinte, aber –«
»Oh, Gabriel, dessen bin ich mir sicher.« Antonia blieb unvermittelt stehen und wandte sich ihm zu. »Sie wusste doch nicht, dass sie so jung sterben und dein Vater nicht nach Hause zurückkehren würde. Ich kann gut verstehen, dass eine Mutter ihr Kind nicht vor den täglichen Tragödien des Lebens bewahren oder es gar darauf vorbereiten kann. Du musst nicht schlecht von ihr denken. Das darfst du nicht.«
Gareth nickte. Sie gingen langsamer, als sie ihren Weg fortsetzten. Er wollte nicht den Fuß des Hügels erreichen, und genauso wenig wollte er dieses Gespräch weiterführen. Ein Teil von ihm war noch immer wütend auf seine Mutter. Manchmal dachte er, dass ihre Entscheidung dazu geführt hatte, dass er zwischen zwei Welten hatte leben müssen und zu keiner dazugehört hatte.
Er stieß eine faulige Walnuss vom Weg und empfand Befriedigung, als sie gegen einen Baumstamm prallte. »Ich weiß, dass meine Mutter alles, was sie getan hat, aus Liebe getan hat. Aus Liebe zu mir und zu meinem Vater. Aber für einen kleinen Jungen gibt es nur wenig, das wichtiger ist, als in die Welt hineinzupassen, in der er lebt – und wenig, das tröstlicher ist. Offen gesagt denke ich, dass der Glaube meiner Großeltern grundlegenden Einfluss auf mich hatte. Mehr davon hätte mir sehr gut getan.«
»Glaubst du, was sie geglaubt haben?« In Antonias Stimme lag keine Wertung, nur Neugier.
»An manchen Tagen weiß ich nicht, was ich glaube, Antonia.« Er blieb stehen und schob einen dornigen Zweig zur Seite, der über den Weg hing. »Für mich geht es hierbei nicht einmal um den Glauben, viel eher um eine fürsorgliche Gemeinschaft guter und ehrlicher Menschen.«
Sie duckte sich unter dem Zweig hindurch und sah Gabriel dann
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