Verloren in deiner Sehnsucht: Roman (German Edition)
»Deine Zofe ist recht streitsüchtig«, sagte er ruhig. »Sie war immerhin kurz davor, mich umzubringen.«
Antonia sah ihn fragend an. »Aber das ist doch absoluter Unsinn. Nellie würde keiner Fliege etwas zuleide tun.«
»Oh, ich denke, Nellie würde jedem auf den Leib rücken, von dem sie vermutet, er könnte Euch Schaden zufügen wollen«, behauptete Kemble. »Aber ich wüsste nicht, wie sie von Warnehams Vorhaben, die Ehe aufzulösen, erfahren haben sollte. Und selbst, wenn sie es erfahren hätte, hätte sie es vermutlich für gut befunden.«
»Wahrscheinlich habt Ihr recht«, gab Gareth widerstrebend zu.
Kemble trank seinen letzten Schluck Sherry und schob das Glas von sich weg. »Nun, für heute können wir wohl nichts mehr tun«, bemerkte er nachdenklich. »Morgen wird es regnen – und zwar nicht wenig, wenn meine Stirnhöhlen mich nicht trügen –, aber übermorgen, Euer Gnaden, falls die Straßen trocken sind, sollten wir nach London fahren. Ich würde sehr gern hören, was dieser Anwalt zu sagen hat.«
»Ja, vielleicht sollten wir das«, stimmte Gareth müde zu. »Lasst mich darüber nachdenken.« Alle erhoben sich, und Antonia legte eine Hand an ihre Schläfe.
»Seid Ihr so freundlich, mich heute Abend beim Diner zu entschuldigen, Euer Gnaden?«, sagte sie plötzlich wieder förmlich. »Ich fürchte, ich bekomme Kopfschmerzen. Wie Mr. Kemble sagt, liegt es vermutlich am heraufziehenden Regen. Vielleicht könnte man mir etwas zu essen heraufbringen?«
Gareth verbeugte sich. »Natürlich«, sagte er. »Es war für uns alle ein anstrengender Tag.«
Antonia verließ das Zimmer und nahm alles, was sie an Wärme und Trost ausgestrahlt hatte, mit sich. Gareth fühlte sich niedergeschlagen und ausgelaugt. Als wäre sein Ausbruch am Nachmittag im Pavillon nicht genug des Fiaskos gewesen, könnte sich jetzt auch noch seine Einmischung in die Aufklärung von Warnehams Tod als Antonias Untergang herausstellen. Und er war ganz und gar nicht sicher, ob sie ihm das eine wie das andere je verzeihen konnte.
Kapitel 16
G abriel lag reglos da. Er spürte das leichte Auf und Ab der Saint-Nazaire und lauschte auf das Knarren der Taue, die sie am Kai festhielten. Bis auf die Geräusche, die die Ratten im Rumpf machten, war es auf dem Schiff totenstill. Die anderen Hängematten hingen leer an ihren Haken, leblose, zusammengeschrumpfte Kokons, deren Benutzer an Land gegangen waren, um zu trinken und herumzuhuren.
Plötzlich erklangen Schritte an Deck, einige schwer und fest, andere leicht und schleppend. Wurde jemand mitgezerrt? Raues, heiseres Lachen. Der Spund, der die Luke offen hielt, wurde weggenommen, und Gabriel erstarrte vor Angst. Ein flackernder Lichtschein wurde sichtbar, ihm folgte ein Durcheinander von Beinen. Noch mehr Lachen. Gabriel spähte um einen Pfosten herum, um besser sehen zu können. Creavy und Ruiz. Er zitterte vor Furcht, dann sah er sie. Nein, heute Nacht würden sie nicht zu ihm kommen, denn sie hatten eine Frau die Stiege heruntergezerrt. Ihre Arme waren ihr auf den Rücken gebunden, das blaue Kleid vom Ärmel bis zur Taille aufgerissen.
Als Ruiz die Hand von ihrem Mund nahm, schrie sie laut auf. Creavy schlug mit dem Handrücken zu, und ihre Lippe begann zu bluten. Das Haar löste sich und fiel ihr über die Schulter. »Mir gefällt’s, wenn ein Weib Feuer im Leib hat«, säuselte Creavy und rieb eine Haarsträhne zwischen seinen schmutzigen, schwieligen Fingern. Gabriel konnte sehen, dass die Augen der Frau vor Panik weit aufgerissen waren.
»Dios mío! Nun mach schon!« Ruiz war ungeduldig.
Creavy riss ihr den Rest des Kleides herunter. Ihre nackten Brüste wogten im Schein der Laterne wie kleine weiße Kugeln. Ruiz hielt die Frau fest, während Creavy seine Hose aufknöpfte und ihr den Unterrock hochschob. Als sie zu schreien begann, zog Gabriel sich die Decke über den Kopf. Dann wurden die Schreie zu einem Wimmern, und das Wimmern zu einem langsamen, qualvollen Schluchzen.
Er sollte etwas tun. Irgendetwas. Vielleicht sich ihnen an ihrer statt anbieten? Aber er tat es nicht. Er hatte zu große Angst, und so dauerte das Wimmern bis weit in die Nacht. Gabriel verharrte reglos unter der Decke. Es machte ihn krank, dass die Frau leiden musste. Und es machte ihn genauso krank, seine eigene erbärmliche Hilflosigkeit zu fühlen.
Gareth aß an diesem Abend allein in dem kleinen Speisezimmer und fühlte sich verlassener und unglücklicher, als er sich selbst gegenüber zugab. Er
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