Verlorene Eier
genau. Mikrotubuli. Das sind die kleinen Kerle, die mir den Kühlschrank füllen.« Wieso erzähle ich so einen Schwachsinn? Sonst tue ich das doch auch nicht. »Möchten Sie noch etwas trinken?«
Sie wirft mir einen ausdruckslosen Blick zu, der mir durch Mark und Bein geht. »Ach nein, danke. Ich bin noch versorgt.«
Ich bin zutiefst erschüttert. Der Abend läuft so gar nicht, wie ich es mir vorgestellt habe. Ihre Frostigkeit, nein, falsch, das bemerkenswerte Fehlen jeglicher Begeisterung ihrerseits lässt meine Freude in sich zusammenschrumpfen wie einen Luftballon mit einem undichten Ventil. In meiner Not rufe ich den Barkeeper herüber und bestelle einen Wodka Martini. Ich muss eine Möglichkeit finden, hier ein wenig einzuheizen.
»Angela meinte, Sie seien ein großer Fan von ihr.«
Nun beginnen ihre Augen zu leuchten. »Ich liebe ihre Bücher. Es ist echt Wahnsinn, sie persönlich kennenzulernen.«
»Ich weiß, dass sie Sie auch sehr mag.«
»Ihre Bücher haben so etwas an sich, wodurch ich mich sofort besser fühle. Und als ich persönlich vor ihr gestanden habe, war es genauso. Sie hat ganz besondere … Vibes, verstehen Sie?«
»Tatsächlich?« Diese alte angemalte Schachtel beginnt mir allmählich auf die Nerven zu gehen.
»War sie damals, als Sie beide noch Kinder waren, nicht auch schon so?«
Ich stoße ein Schnauben aus. (Ich fürchte, ein winziger Speicheltropfen ist auf ihrer Jacke gelandet.) »Das ist lange her«, antworte ich. »Seitdem haben wir alle viel durchgemacht«, füge ich scherzhaft hinzu. Nichts. Keine Reaktion. Schlimmer noch – es ist, als hätte jemand in einer vollen Aufzugkabine gefurzt. Zum Glück wird in diesem Moment mein Martini serviert. Ich nehme einen kräftigen Schluck, der meine Moral wieder heben soll, nur handelt es sich unglücklicherweise um eines dieser Designergläser mit überbreitem Rand, so dass ein Teil der durchsichtigen Flüssigkeit den Weg in meinen Mund nicht schafft, sondern auf die Bar und sogar auf meine Schuhe schwappt. Amber reicht mir eine Serviette von einem kunstvoll arrangierten Stapel.
»Danke.«
»Sie haben das auch schon eine ganze Weile nicht mehr gemacht, was?«
»Was? Getrunken?«
»Nein, eine Verabredung mit einer Frau gehabt.«
»Nein. Offen gestanden ist es eselslange her.«
»Wie?«
»Eselslange. Haben Sie das noch nie gehört? Ewig und drei Tage.«
Auf ihrem Gesicht liegt ein gequälter Ausdruck. »Leben Esel denn so lange?«
»Na ja, manche schon. Hängt immer davon ab.«
»Was würden Sie als lange bezeichnen?«
Tiefer Seufzer. »Schwer zu sagen. Wie lange ist ein Weilchen?«
»Hm. Keine Ahnung.«
»Egal.«
Verlegene Stille breitet sich aus. Amber rührt mit dem Plastikstäbchen in ihrem Jack Daniel’s, und mir fällt – jetzt da ich endlich als Mann mit ihr zusammen sein darf – kein einziges Thema ein, das nicht völlig idiotisch ist.
Sie leert ihr Glas, und ich habe das dumpfe Gefühl, dass sie gleich aufstehen und sich mit den Worten »Hat mich echt gefreut, Tony, aber ich muss jetzt gehen« verabschieden wird.
»Ich bestelle Ihnen noch einen.«
»Okay.« Achselzucken. Offenbar hat sie nichts Besseres zu tun.
Die Bar füllt sich. Es scheint einer dieser angesagten Läden zu sein, den die jungen Leute aufsuchen, um sich einen hinter die Binde zu kippen und sich gegenseitig die Zunge in den Hals zu schieben. Wo ich auch hinsehe – überall stehen dicht aneinandergedrängte Pärchen. Offenbar zeigen das schummrige Licht und die Lautstärke ihre Wirkung. Mit einem Anflug von Bestürzung wird mir klar, dass es mir in meiner Verkleidung mit Perücke und Hühnerfilets im BH wesentlich leichter gefallen ist, mich mit dieser Frau zu unterhalten. Hier hingegen, ohne das weibliche Equipment, das mir als eine Art Schutzwall dient, fühle ich mich irgendwie nackt. Und seltsam hohl. Ich kann mich noch nicht einmal auf die bewährte Was würde Kiki jetzt tun? -Frage berufen.
Zum Glück kommt in diesem Augenblick die Inspiration über mich. Was würde Bill Greefe in dieser Situation tun?
»Erzählen Sie mir doch ein bisschen von sich«, fordere ich sie auf.
Ich winde mich innerlich vor Scham über meine Einfallslosigkeit.
»Ach, da gibt es nicht viel zu erzählen«, antwortet sie. »Ich bin alleinerziehende Mutter eines Sohnes. Mein Leben ist das reinste Chaos. Und Sie?«
»Geschieden, ohne Kinder. Mein Leben … besteht nur aus Arbeit.«
»Ach ja, die Mikrotubuli.« Ihr Drink wird serviert, und immerhin
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