Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verlorene Eier

Verlorene Eier

Titel: Verlorene Eier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Scarlett
Vom Netzwerk:
schaffen wir es diesmal, wie zivilisierte Menschen anzustoßen. »Was ist das überhaupt? Mikrotubuli?«, fragt sie, als könnte sie ja auch gleich etwas lernen, wo sie schon mal hier ist.
    »Tja, wo soll ich anfangen?« Lange Pause. »Wollen Sie das wirklich wissen?«
    »Klar.«
    Mist. »Für einen Laien kann es aber ziemlich kompliziert sein.«
    »Versuchen Sie’s doch einfach.«
    Ich hole tief Luft. »Also, wie fange ich am besten an. Können Sie sich eine Röhre vorstellen?«
    »Hmhm.«
    »Nun ja, ein Tubulus ist eine viel, viel kleinere Röhre.«
    »Lassen Sie mich raten – ein Mikrotubulus ist eine noch viel, viel kleinere Röhre.«
    »Genau. Das war’s auch schon im Großen und Ganzen.«
    »Und diese Dinger haben wir im Körper?«
    »Allerdings. Eimerweise sogar. Wenn Sie all die Mikrotubuli aus dem Körper nehmen würden, könnten Sie einen Eimer damit füllen. Vielleicht sogar zwei. Wenn so etwas ginge.«
    »Angela meinte, sie seien sehr klein und sehr wichtig.«
    »Das sind sie auch. Ohne sie wären wir verloren.«
    »Was machen sie denn?«
    »Was sie machen?«
    »Ja. Was machen die Mikrotubuli?«
    Ich komme mir vor wie eine Maus mitten in einem bösen Spiel. Die von der bösen Katze mehrfach gefesselt wird, bevor sie die Krallen ausfährt. Und ihr den Kopf abbeißt.
    »Was sie tun … nun ja, sie stellen Verbindungen zwischen Dingen, sehr kleinen Dingen, und anderen sehr kleinen Dingen her. Das bezeichnet man in der Fachsprache als tubuläre Funktion. Alles, was darüber hinausgeht, ist schon sehr fachspezifisch, fürchte ich.«
    Ambers Gesicht ist eine Maske der Trübseligkeit. »Diese sehr kleinen Dinge«, sagt sie langsam, »werden die durch die Tubuli transportiert? Oder nur durch die Tubuli miteinander verbunden?«
    Ich blicke in die bernsteinfarbenen Augen, als stünde die Antwort darin geschrieben. Aus irgendeinem Grund bin ich den Tränen nahe.
    »Das ist eine extrem gute Frage.«
    Ein kleines Wunder. Sie lacht.
    »Tony, darf ich Ihnen etwas sagen?
    Ich finde, Sie sind ein echt süßer Typ und so. Und ich habe mich wirklich gefreut, Sie kennenzulernen. Aber von …« Sie hebt die Hände und schreibt Anführungszeichen in der Luft »… ›Mikrotubuli‹ verstehen Sie ungefähr genauso viel wie ich.«
    Ich öffne den Mund, um etwas zu erwidern, doch statt eines Wortes dringt nur ein speichelndes Gurgeln hervor.
    »Vielleicht hat Angela Ihnen nichts davon erzählt«, fährt Amber fort, »aber das Schicksal hat mich gezwungen, länger in einer Welt voller Lügen zu leben, als man es tun sollte.«
    »Jetzt, wo Sie es erwähnen. Da war etwas«, stammle ich.
    »Man hört genug Lügen, man erzählt genug Lügen, man kriegt ein Gespür für Lügen, verstehen Sie?«
    Wieder dieses Krächzen.
    »Ich bin sicher, Sie sind ein anständiger Kerl. Heiliger Strohsack, Sie sind nicht der Erste, der mir bei einem Drink einen Menge Schwachsinn erzählt hat. Seit der Highschool haben mir massenhaft Typen ans Bein gepinkelt und wollten mir einreden, dass es regnet. Aber der eigenen Schwester?«
    Mir fällt die Kinnlade herunter.
    »Wieso machen Sie so was?«, fragt sie leise.
    Nun weiß ich endgültig nicht mehr, was ich sagen soll. Doch ich sollte mir dringend etwas einfallen lassen.
    »Ich bin ja kein Psychiater oder so was, aber ich schätze, dass es etwas mit Rivalität unter Geschwistern zu tun hat. Ein Zwilling macht Karriere als berühmte Schriftstellerin, also beschließt der andere, in der Medizin eine Kanone zu werden. Stimmt’s?«
    Ich erwidere ihren ernsten Blick einige Momente lang, ehe ich mehrmals hintereinander kaum merklich nicke. Mikro-Nicken könnte man es wohl nennen.
    »Sind Sie überhaupt Arzt?«
    Noch mehr Nicken. Der Martini ist in meinem Gehirn angekommen. Plötzlich habe ich das übermächtige Bedürfnis, ihr die ganze Wahrheit zu erzählen. Doch irgendetwas – vielleicht dieses Gefasel über Esel – bringt mich dazu, »Tierarzt« zu erwidern.
    Sie schlägt sich die Hand vor den Mund. »Das gibt’s doch nicht!«
    »Bitte, Amber. Sie weiß nichts davon.«
    »Heiliger Strohsack, Tony. Ich werde es ihr nicht verraten.«
    »Was die Rivalität angeht, irren Sie sich, Amber. So etwas gab es nie zwischen uns. Ich war immer stolz auf das, was sie erreicht hat. Ich wollte nur …« Ich schlucke. »Ich wollte nur, dass sie auch stolz auf mich ist. Deshalb habe ich angefangen, irgendwelche Dinge zu erfinden. Und irgendwann ist mir das Ganze über den Kopf gewachsen. All das … ist … nur

Weitere Kostenlose Bücher