Verlorene Eier
habe.
»Tony ist ein echt süßer Typ und so, Angela, aber so richtig gefunkt hat es nicht. Er kam mir vor, als sei er heftig auf der Suche.«
»Hat er wieder mit seinen Mikrotubuli angefangen?«
»Ja. Ein bisschen.«
»Ich fand es immer schon seltsam, dass er unbedingt Humanmedizin studieren wollte. Als er noch jung war, sah es immer so aus, als würde er eines Tages Karriere als Tierarzt machen.«
»Er ist sehr stolz auf Sie, Angela.«
»Offen gestanden hatte ich schon den Verdacht, er könnte ein bisschen übertrieben haben, was seine beruflichen Errungenschaften angeht, meine Liebe.«
»Meinen Sie?«
»Manchmal habe ich den Verdacht, dass wir beide ein bisschen zu viel Fantasie haben. Ich erfinde Geschichten, er erfindet Geschichten … na ja, vielleicht auch nicht. Vielleicht war es auch eine blöde Idee, Sie beide heute Abend zusammenzubringen. Schließlich ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass sich ein Mädchen wie Sie in einen Mann wie ihn verliebt.« Lange Pause. »Oder?«
»Wohl kaum.«
Keine Ahnung, wieso, aber aus irgendeinem Grund musste ich es aus ihrem Mund hören.
»Sie werden mir fehlen, wenn ich wieder in Sleepy Eye bin.«
»Sie mir auch, meine Liebe. Wie ist es dort so?«
»In Sleppy Eye? Na ja, ziemlich verschlafen, wie der Name schon sagt. Ganz normal eben. Wenn das Wetter gut ist, kann man mit dem Boot auf den See rausfahren.«
»Werden Sie mir schreiben?«
»Ich hab’s nicht so mit dem Schreiben, aber ich werde es auf jeden Fall versuchen.«
»Mir ist ein wunderbarer Platz für den Buddha in meinem Haus eingefallen. Auf dem Kaminsims im Wohnzimmer. Wann immer ich ihn sehe, werde ich an Sie denken.«
»Jerome kommt morgen früh. Ich bin hergekommen, um mich zu verabschieden.«
»Oh, nicht, Liebes. Ich hasse Abschiede.«
Durch die Bettdecke drückt sie meinen Arm. »Ich werde Sie nie vergessen, Angela.«
»Und ich werde …«
Ich kann nicht weitersprechen. Ich schließe die Augen. Und spüre eine Hand, die mir übers »Haar« streicht.
Sekunden später höre ich das leise Klicken der Tür.
Es ist lange her, seit ich mich das letzte Mal in den Schlaf geweint habe.
KAPITEL SECHS
1
Das Leben ist schon komisch.
In einer Bar in Miami habe ich einen Engländer kennengelernt. Allerdings hatte ich ehrlich gesagt von der ersten Sekunde an das Gefühl, dass er ein Loser ist. Er hat sich mit seinem Drink bekleckert und mir die Ohren vollgelabert, er sei ein superwichtiger Arzt und Experte auf dem Gebiet der »Mikrotubuli«. Selbst mir war klar, dass er keine Ahnung davon hatte. In Wahrheit ist er Tierarzt. Doch der Punkt ist: Eigentlich ist er kein übler Kerl. Seine Ehe lief beschissen, und er hat diesen Medizin-Schwachsinn nicht erfunden, um bei mir Eindruck zu schinden, sondern bei seiner eigenen Schwester, meiner absoluten Lieblingsautorin und neuen Freundin Angela Huxtable. Und zwar nicht aus Neid auf sie oder so was, sondern weil er sie so liebt.
»All das ist nur aus Liebe passiert.« Genau das hat er gesagt.
Es war dunkel in der Bar, aber trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass ich eine Träne in seinem Augenwinkel gesehen habe.
Und was noch komisch ist: Ich kann den Kerl einfach nicht vergessen. Er hatte so vieles an sich, was mich an Angela erinnert. Sein Gesicht. Die Augen. Die Art, wie er geredet hat. Und ich denke die ganze Zeit, wieso habe ich ihn eigentlich abserviert? Fand ich die Vorstellung, mit Angelas Bruder ein Rendezvous zu haben, so abgedreht? (An den Mikrotubuli lag es jedenfalls nicht. Ich meine, weshalb sollte ausgerechnet ich sauer sein, nur weil mir einer einen Bären aufbinden wollte?)
Als ich heute Morgen aufgewacht bin, war mein erster Gedanke: All das ist nur aus Liebe passiert . Ich habe von diesem Engländer geträumt. Wir saßen Rücken an Rücken in einem Boot auf dem See von Sleepy Eye und angelten. Wie alte Freunde. Die Wasseroberfläche war ganz glatt, nur ein paar winzige Wellen rauschten. Es war so schön, so friedlich, einfach dort zu sitzen. Und dann zerrte plötzlich etwas an meiner Angel. Ich holte sie ein und dachte, ich hätte einen Wels oder so was dran. Aber … es war ein Spielzeugschloss. Eine Art Märchenschloss, mit Türmen und so. Man konnte durch die Fenster reingucken …
Das ist echt superschräg.
Jedenfalls waren er und ich in diesem Schloss. Der Engländer und ich. Wir waren beide Kinder – aber irgendwie wieder nicht – und spielten. Und, nein, wir spielten auch gar nicht, sondern lagen auf einem
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