Verlorene Eier
Keith. Ich meine damit nicht mich, in Frauenkleidern, wie ich in die Kamera blicke, sondern die Frau auf dem Polaroid. »Sie sieht nett aus. Ich glaube, ich würde sie gern kennenlernen.«
Ich sehe Keith an, der begeistert nickt. In seinen feurigen dunkelbraunen Augen glitzert es feucht.
»Ich weiß ja, dass du keine Transe bist«, erwidert er. »Trotzdem ist diese Verwandlung unglaublich.«
6
Mit dem Versprechen, dass uns noch so manches »Wunder« erwartet, ist Keith ins Ministerium gefahren, um ein paar Unterlagen für sein externes Brainstorming zu holen, während ich Gelegenheit habe, mich ein wenig in meinen »neuen Charakter einzufühlen«, wie er es ausdrückt. Wir hätten noch immer einen echten Marathon vor uns, meinte er, aber wo ich sowieso schon mal hier sei, könnte ich mich ebenso gut schon einmal warmlaufen (wenn auch vielleicht nicht unbedingt bis zur Wohnungstür, um dem Postboten aufzumachen). Bevor er sich auf den Weg gemacht hat, demonstrierte er mir die breitbeinige Haltung von Männern, während Frauen üblicherweise die Füße geschlossen halten. (Er machte das ganz hervorragend, wie Sie sich bestimmt vorstellen können.) Das Ganze sei eine Frage der Taillenhöhe, erklärte er. Beim Mann sitzt die Taille direkt über der Hüfte, während sie sich bei der Frau unmittelbar unter den Rippen befindet, also ungleich höher. Ich stapfe also mit den hochhackigen Stiefeln durch die Wohnung und versuche, ein Gefühl zu bekommen, wie Frauen sich bewegen. Ich komme mir wie der letzte Vollidiot vor. Doch es gibt Momente, wenn auch sehr kurze, in denen es ganz gut zu klappen scheint. Ich habe die Polaroids auf Keiths Couchtisch ausgebreitet und werfe jedes Mal einen Blick auf das Gesicht, wenn ich daran vorbeikomme. Angela Huxtables Gesicht.
Sie sieht nett aus, wenn auch ein klein wenig traurig. Kein Mauerblümchen, aber auch nicht gerade der Inbegriff des Partygirls. Ich stelle mir vor, dass sie leise spricht. Eine stille Frau, die sich dank ihrer unaufdringlichen Intelligenz durchaus wohl in ihrer Haut fühlt. Mehr oder weniger.
Ist sie leidenschaftlich?
Wer weiß?
Gibt es einen Mann in ihrem Leben?
Eher nicht.
Gab es einmal jemanden?
Vor langer Zeit einmal.
Hat er ihr das Herz gebrochen?
Durchaus möglich.
Hat sie vielleicht einen verheirateten Mann geliebt? Eine Liebe, die niemals sein durfte?
Kann sein.
Hat sie sich dem Schreiben von Liebesromanen zugewandt, um so ihren Schmerz zu verarbeiten?
Jetzt, wo ich so darüber nachdenke – ja, sie ist genau so, wie man sich eine Schriftstellerin vorstellt. Und die Pferde, Hunde und Bienen? Na ja, doch, sie könnte Bienenzüchterin sein. Auch ein Hund ist durchaus denkbar. Ein kleiner alter Hund. Wenn er einmal stirbt, werde ich mir auf keinen Fall einen neuen zulegen. Ich ertrage diese Abschiede nicht . Die Pferde hingegen lassen sich nicht so einfach ins Bild einfügen. Aber das ist gut so. Niemand sagt, dass man nicht auch mal aus der Reihe tanzen darf.
Zu welcher Sorte Mann fühlt sie sich hingezogen?
Ach, all das liegt mittlerweile hinter ihr.
Wie war er?
Nun, sehr gut aussehend. Charmant.
Will sie sich noch einmal verlieben?
In diesem Leben jedenfalls nicht …
7
Am späten Nachmittag kehrt Keith mit einer dieser XXL -Aktentaschen zurück, wie sie sonst üblicherweise Piloten und Pharmavertreter benutzen. Ich habe mittlerweile mithilfe von Feuchtigkeitstüchern die Schminke abgenommen und bin wieder zu meinem vertrauten Männerdasein zurückgekehrt. Die Überreste von Angela – Perücke, Kleider, Stiefel, Schmuck – liegen auf einem Stuhl in Keiths Hochsicherheitsboudoir.
Ehrlich gesagt fehlt sie mir fast ein wenig.
»Hier, für dich.« Keith zieht eine rosa Plastiktüte aus dem Aktenkoffer und lässt sie in meinen Schoß fallen. Es ist eine brünette Perücke, die nicht ganz so auffallend glänzt wie die andere und wesentlich geeigneter für Angela ist. Ich erkenne auf den ersten Blick, dass sie deutlich hochwertiger ist – helle Strähnchen, aber auch vereinzeltes Grau, außerdem fällt das Haar viel natürlicher.
»Ich habe sie von einem Kumpel im Theater geborgt«, meint Keith und erzählt mir, eine renommierte, von der Königin mit einem Adelstitel ausgezeichnete Schauspielerin hätte sie erst kürzlich über sechs Wochen im Old Vic Theatre getragen. Keith bittet mich, eine Flasche Wein aufzumachen, während er noch ein paar wichtige Mails verfasst.
»Hast du diesen Ärger mitbekommen, den es heute gab?«, fragt
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