Verlorene Eier
nehme eines von dem Stapel neben mir, während sie in ihrer Hippietasche zu kramen beginnt. »Nein, bitte. Das hier geht auf mich. Schließlich scheinen Sie ja ein Fan der ersten Stunde zu sein.«
Ich hoffe, es gefällt Ihnen. A.H.
Sie scheint zutiefst gerührt zu sein, sammelt ihre Bücher zusammen und macht Anstalten aufzustehen. Plötzlich verspüre ich den Drang, die Unterhaltung noch ein wenig in die Länge zu ziehen.
»Woher stammen Sie, Amber?«
Mit dieser Frage hat sie offenkundig nicht gerechnet; sie sieht sogar Arthur an, der hilfreicherweise die Augen verdreht.
»Na ja, irgendwie von überallher.«
»Mom ist ein bisschen durcheinander«, schaltet sich ihr Sohnemann ein. »Sie könnte ein Bier gebrauchen.«
Amber wischt sich mit dem Handrücken eine Träne ab (begleitet von einem weiteren vernehmlichen Schnieflaut). Als ein Lächeln wieder um ihren Mund spielt, ist es, als gehe die Sonne auf. Ich habe noch nie ein so von Licht durchflutetes Augenpaar gesehen.
»Es tut mir wahnsinnig leid«, meint sie. »Sie müssen mich ja für eine völlig durchgedrehte Nudel halten.«
»Aber gar nicht, meine Liebe.« Vielleicht nicht völlig .
»Es ist so … unglaublich, Sie kennenzulernen. Ihre Bücher haben mir schon durch so manche schwere Zeit geholfen.«
»Das freut mich sehr«, sage ich leise.
»Sie haben mir geholfen weiterzumachen. Mit Ihren Happy Ends und so.«
»Das klingt vielleicht merkwürdig, aber auch mir hat das Schreiben durch eine schwierige Phase meines Lebens geholfen.«
»Ehrlich?«
»Als ich mit meinem ersten Buch angefangen habe, war ich an einem absoluten Tiefpunkt angelangt. Aber beim Schreiben habe ich herausgefunden, dass man sich als Autor das Ende aussuchen kann, das er – oder sie – sich wünscht. Das wahre Leben hingegen erscheint so viel …« Ich suche nach dem richtigen Wort »… problematischer.«
»Genau das liebe ich so an Ihren Büchern, Angela.« Amber legt ihre langen, schlanken Finger auf ihr Brustbein und beugt sich ein kleines Stück vor – zwei Gesten, die mir aus Keiths Schule nur allzu vertraut sind. Eine Woge der Begierde durchströmt meinen Körper, die sich augenblicklich in den Tiefen meiner Marks-&-Spencer-Unterwäsche bemerkbar macht. Ich muss meine Konzentration aufwenden, nicht im wahrsten Sinne des Wortes aus der Rolle zu fallen.
»Es gefällt Ihnen also, wenn die Liebe am Ende über alles siegt, ja?«, frage ich.
»Das Wissen, dass am Ende alles gut wird … das ist es, was ich so mag.«
»Als Leserin können Sie also Unglück und Leid verschmerzen, solange Sie sicher sein können, dass sich am Ende alles zum Guten wendet?«
»Mehr noch. Als Leserin kann ich das Unglück und Leid sogar genießen .«
»Das heißt, Sie leiden nicht mit den Charakteren mit?«
»Wissen Sie was? Ich pfeife auf das Leiden. Wenn ich lese, will ich nicht länger leiden. Sollen sie es doch tun.« Ihre Augen leuchten noch intensiver.
Das ist das Interessanteste, was ich jemals einen Menschen über Angela Huxtables gesammelte Werke habe sagen hören. Zumindest ist es wertvoller als die albernen Statistiken über Diätlimonade und Klopapier. Wozu jedoch all die Tränen, wenn sie nicht von der Liebe und all den Wirrungen und Hindernissen herrühren? (Diese Nummer von wegen Defekt der Tränendrüse kaufe ich ihr nicht ab.) Aber vielleicht muss man auch eine echte Frau sein, um diese Frage beantworten zu können.
Amber seufzt. Es ist einer dieser atemlosen Seufzer, die einen automatisch an andere Gelegenheiten denken lassen, bei denen Frauen ein Seufzer entfährt. »Du liebe Güte, hör sich das einer an. Ich unterhalte mich hier mit Angela Huxtable über Literatur!«
Ich spüre, wie meine Knie weich werden. Vor mir steht die attraktivste Frau, der ich seit der Trennung von Claire begegnet bin. Eine Frau mit einer herzergreifenden Lebensgeschichte, daran besteht kein Zweifel. Sie trägt keinen Ehering. Sie bewundert meine Arbeit. Und ich bin wie die Präsidentin der Internationalen Transen-Vereinigung angezogen. Wie abgedreht ist das denn, bitte schön?
»Lesen Sie noch andere romantische Literatur?«, erkundige ich mich.
»Ich habe es mit einigen anderen Autorinnen probiert, doch am liebsten lese ich Ihre Bücher.«
Gerald, der hinter Amber steht, gibt mir ein Zeichen, allmählich zum Ende zu kommen. Für heute Abend steht noch ein Dinner in einem schicken Manhattaner Restaurant mit den Yergel-Oberbossen auf dem Programm – allein bei der Vorstellung wird
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