Verlorene Eier
diesem riesigen Stapel war selbstverständlich reine Farce.) Ich hingegen sah zum Fenster hinaus und ließ zahllose halb zerfallene Fabrikgebäude, die Slums von Philadelphia, den District of Columbia mit seinem satten Grün und einen großen See an mir vorüberziehen. Doch am deutlichsten sah ich das Bild von Ambers Gesicht aus meinem Traum in den spiegelnden Fensterscheiben des Amtrak Silver Star. Ich konnte pure Lust darin erkennen, aber auch etwas, das nicht von dieser Welt zu sein schien. Was mich allerdings am meisten verfolgte, waren ihre Augen, die funkelten, als wären sie von einem tiefen inneren Feuer erleuchtet.
3
Auf den meisten der Stationen unserer Reisen stehen Gerald und mir eigens ausgewählte »Begleitpersonen« zur Verfügung, die gewährleisten, dass der Ablaufplan eingehalten wird. In Washington nimmt George jedoch die Zügel selbst in die Hand. Um, wie sie es ausdrückt, einen kleinen »Hype in der Stadt zu generieren«, hat sie im Coffeeshop unseres Hotels ein Interview mit einer stadtbekannten Moderatorin eines lokalen Radiosenders arrangiert, deren literarische Rubrik sich ganz besonderer Beliebtheit erfreut. Marta Greenbaum bereitet mir vom ersten Augenblick an Bauchschmerzen. Sie ist in meinem Alter, wirkt auffallend ernst und hat sich intensiv mit meinen Büchern befasst. Für das Interview trägt sie ein Paar riesige Kopfhörer, und vor uns steht ein Mikrofon, das mit dem winzigsten Digitalrekorder verbunden ist, den ich je gesehen habe. George sitzt neben uns, um das Gespräch »im Auge« zu behalten, wie sie es formuliert. Marta befragt mich nach meiner Kindheit – »ich würde sie als ›rastlos‹ bezeichnen, daher war ich häufig mit meinen Gedanken allein« –, dann will sie wissen, wie ich zum Schreiben gekommen bin – »Ich habe immer gern und viel gelesen«, antworte ich und nenne wahrheitsgetreu einige meiner literarischen Lieblingsfiguren – und weshalb all meine Romane dieselbe Handlung haben. Nun ja, ganz so deutlich spricht sie es nicht aus.
»Es heißt immer, viele Autoren würden in Wahrheit jedes Mal dasselbe Buch schreiben«, beginnt sie. »Und in Ihrem Œuvre« – sie sagt tatsächlich Œuvre – »scheint dies ganz besonders zuzutreffen.«
»Das hat man mir schon häufiger vorgeworfen«, unterbreche ich. »Aus der Sicht eines Geschichtenerzählers ist das Konzept Junge trifft Mädchen, Junge bekommt Mädchen nicht sonderlich spannend. In der Liebe sollte es nicht zu glatt laufen, und Hindernisse sorgen für ein anständiges Maß an Konflikt, und der sorgt wiederum für ein anständiges Maß an Dramatik.«
»Gab es in Ihrem eigenen Gefühlsleben denn Hindernisse und Konflikte, die Sie, möglicherweise sogar unterbewusst, zu Ihrem Lieblingsthema geführt haben?«
Ich werfe George einen Blick zu. Sie hat mich im Vorfeld gewarnt, dass Marta mir ziemlich auf den Pelz rücken und mich aus der Reserve zu locken versuchen würde. »Sie ist eine ziemliche Nervensäge«, waren ihre exakten Worte. »Sie hält sich für eine Art literarischen Psychiater, aber ihre Quoten stimmen nun einmal.«
»Tja, Marta, ich habe mein Privatleben ganz bewusst nie nach außen getragen, weil ich möchte, dass es auch weiterhin privat bleibt. Ich bin sicher, Sie verstehen das.«
»Ihre männlichen Protagonisten sind immer schwierige, übellaunige Gesellen. Finden Sie Männer kompliziert?«
Die Finger meiner rechten Hand wandern zu der Rauchquarzkette um meinen Hals, und ich spüre, wie George neben mir das Gewicht auf ihrem Stuhl verlagert. »Meine Liebe«, antworte ich, »das Leben ist insgesamt eine komplizierte Angelegenheit. Männer bilden da keine Ausnahme.«
»Sie waren nie verheiratet.«
»Das ist richtig. Ebenso wenig habe ich gelernt, ein Flugzeug zu fliegen. Oder Klavier zu spielen. Oder ein Omelette zuzubereiten, das nicht in der Pfanne kleben bleibt.«
»Aber ein paar Eier haben Sie durchaus zerbrochen, stimmt’s?«
»Okay. Das war’s.« George rammt ihren Finger auf den Aus-Knopf von Martas Digitalrekorder und starrt die Journalistin mit unverhohlener Feindseligkeit an. Ich stelle fest, dass mich ihr beherztes Eingreifen rührt.
»Ich glaube auch, ich habe alles beisammen, was ich für meine Story brauche«, sagt Marta. »Tut mir leid, wenn ich ein wenig zu persönlich geworden bin, Angela, aber meine Hörer mögen das.«
»Kein Problem. Ich bewundere Sie für Ihre Eier.«
Das ist mir herausgerutscht. Marta sieht mich leicht verblüfft an (ebenso wie
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