Verlorene Eier
George). Angela Huxtable hätte niemals das Wort »Eier« in den Mund genommen … das Problem ist nur, dass sie genau das leider gerade eben getan hat. Es ist ein schlimmer, wenn auch keineswegs fataler Ausrutscher, den ich so schnell wie möglich glattbügeln muss.
»Entschuldigen Sie bitte meine Ausdrucksweise«, säusle ich. »Aber Daddy war Soldat, deshalb herrschte bei uns zu Hause manchmal ein ziemlich rauer Ton.«
Nachdem Marta verschwunden ist, bleiben George und ich noch eine Weile in der Cafeteria sitzen. Niemand beachtet uns. Washington ist eine Medienstadt – jeder Zweite hier wird interviewt oder interviewt jemanden. George grinst wieder so wissend.
»Ich bewundere Sie für Ihre Eier, Angela«, meint sie. »Dafür, wie gut Sie sich geschlagen haben.«
»Sie hat doch nur ihre Arbeit gemacht. Die Frage mit den Eiern fand ich sogar ziemlich gut.«
Es entsteht eine Pause. »Haben Sie tatsächlich welche zerbrochen?«
Tja. Reingetappt. Aber wo ich jetzt darüber nachdenke, ist es vielleicht gar keine schlechte Idee, ein paar Jungs ins Spiel zu bringen. Nur damit sie kein falsches Bild von mir bekommt. »Nun ja, es gab da ein paar junge Männer. Natürlich ist all das lange her. Aber Sie wissen ja, wie es immer heißt – eine Lady genießt und schweigt …«
»Ich dachte, es heißt Gentleman .«
Schon wieder. Versucht sie mir irgendetwas zu sagen?
»Ach, George, meine Liebe. Wir alle haben unsere schmerzlichen Erinnerungen.«
»Allerdings.« Diesmal hängt das Schweigen wie eine düstere schwere Wolke über uns. »Bei mir ist es meine Mom. Sie hat uns verlassen, als ich zehn war.«
»Wie entsetzlich. Ein anderer Mann?«
»Sie ist gestorben.«
»Das tut mir sehr leid.«
»Danke.«
Ein Anflug von Trauer breitet sich aus.
»Ich habe nie erlebt, wie sie älter wurde.«
»Das ist sehr traurig.«
»Grauenhaft.«
»Ein Alptraum.«
»Das ist wohl der Grund, weshalb ich mich zu Älteren hingezogen fühle.«
Ach du Scheiße. Geralds schreckliche Prophezeiung scheint sich zu bewahrheiten.
George blickt mir geradewegs in die Augen, und mit einem Mal wird mir mit übelkeiterregender Gewissheit klar, was gleich passieren wird. Nennen Sie es von mir aus weibliche Intuition.
Georges hübsches Gesicht verzieht sich, und ihre Augen füllen sich mit Tränen.
»Es tut mir so leid, Angela«, presst sie mühsam hervor. »Als Mom die Haare ausgefallen sind, hat sie neue bekommen. Eine Perücke. Genauso eine wie Sie haben.«
Um mein Entsetzen zu verbergen – eine Perücke, genauso eine wie ich habe –, lege ich ihr einen Arm um die Schultern, worauf sie den Kopf an meinen Hühnerfilets vergräbt und eine gefühlte Ewigkeit von heftigem Schluchzen geschüttelt wird. Ich spüre die Nässe durch meinen Pullover dringen. Ein Mann am Nebentisch hat sich umgedreht und sieht herüber. Ich werfe ihm einen »Was soll man machen?«-Blick zu. Seltsamerweise höre ich Caerwen Griffiths’ Stimme. Ihre Worte – vom walisischen Akzent bereinigt – hallen in meinem Kopf wider. »Heulen Sie sich ruhig mal so richtig aus. Lassen Sie alles raus, dann fühlen Sie sich besser«, zitiere ich sie. Doch das scheint alles nur noch schlimmer zu machen. Das Schluchzen wird noch lauter. Noch mehr Köpfe, die sich zu uns umdrehen, noch mehr neugierige Blicke. Das ist nicht gut. Ein Transvestit und eine flennende Lesbe in einem Washingtoner Café – nicht unbedingt das, was ich mir vorgestellt habe. Aber in diesem Augenblick kommen mir ihre Worte vor ihrem Tränenausbruch wieder in den Sinn. Hat sie gesagt, die Perücke ihrer Mutter hätte genauso ausgesehen wie meine? Oder war es mein Haar gewesen? Egal. Jedenfalls hatte sie »Es tut mir so leid, Angela « gesagt, alles andere ist unwichtig.
Der Tränenstrom versiegt allmählich. Schließlich hebt sie den Kopf, holt tief Luft – auf meinem hochgeschlossenen Pulli prangt ein großer feuchter Fleck –, tupft sich die Augen trocken und sagt noch einmal: »Es tut mir so leid, Angela.«
»Schon gut, meine Liebe.«
»Nicht besonders professionell von mir, was?«
»Das ist unser kleines Geheimnis, einverstanden?«
Ein winziges Lächeln schiebt sich durch die Wolkendecke. »Haben Sie auch so nahe am Wasser gebaut wie ich?«
»Allerdings. Als mein kleiner Reggie von uns gegangen ist, war ich untröstlich.«
»Eines Ihrer Pferde?«
»Nein, ein Hund. Ein Jack Russell.« Bei der »Erinnerung« schüttle ich den Kopf. »Er war ein feiner Kerl.«
Woher kommt es, dass
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