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Verlorene Seelen

Verlorene Seelen

Titel: Verlorene Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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anderes übrig.
    »Was meinst du dazu?«
    »Sie hatte Angst, daß ich wieder anfangen würde zu trinken, wenn ich mit ihnen zusammen bin. Aber ich trinke nicht mehr.« Auch dies klang nicht bitter, nicht ärgerlich, sondern lediglich resigniert.
    »Ich weiß«, sagte Tess und legte ihm die Hand auf den Arm. »Du kannst stolz darauf sein, daß du davon losgekommen bist. Du hast die richtige Wahl getroffen.
    Ich weiß, wie hart du jeden Tag kämpfen mußt, um nicht rückfällig werden.«
    »Mutti gibt immer anderen die Schuld für die Dinge, die passieren.«
    »Was für Dinge?«
    »Dinge eben.«
    »Zum Beispiel die Scheidung?« Wie gewöhnlich rief 86
    dieses Stichwort keinerlei Reaktion hervor. Tess ging wieder zum Ausgangspunkt zurück. »Wie findest du es, nicht mehr mit dem Bus zur Schule zu fahren?«
    »Busse stinken.«
    »Jetzt bringt deine Mutter dich jeden Tag zur Schule.«
    »Ja.«
    »Hast du mit deinem Vater gesprochen?«
    »Er hat viel zu tun.« Halb ärgerlich, halb bittend sah er Tess an. »Er hat einen neuen Job in einer Computerfirma, aber im nächsten Monat werde ich wahrscheinlich mit ihm das Wochenende verbringen. Am Erntedankfest.«
    »Und wie findest du das?«
    »Das wird schön.« Einen Moment lang wurde er zu einem kleinen Jungen, der vor Hoffnung strahlte. »Wir wollen uns das Spiel der Redskins ansehen. Er will Tribünenplätze besorgen. Das wird dann wie früher.«
    »Wie früher, Joey?«
    Er starrte wieder auf seine Knie, doch seine
    Augenbrauen waren zornig zusammengezogen.
    »Es ist wichtig, daß du einsiehst, daß die Dinge nicht mehr wie früher sein werden. Anders muß nicht unbedingt schlecht heißen. Manchmal kann eine Veränderung, selbst wenn sie hart ist, für alle Beteiligten das beste sein. Ich weiß, daß du deinen Vater liebst. Damit brauchst du nicht aufzuhören, bloß weil du nicht mit ihm zusammenlebst.«
    »Er hat kein Haus mehr. Nur ein Zimmer. Er sagt, wenn er keinen Unterhalt für mich zahlen müßte, könnte er sich ein Haus leisten.«
    Am liebsten hätte sie Joseph Higgins senior lautstark verflucht, doch sie sprach mit sanfter Stimme weiter. »Du weißt doch, daß dein Vater ein Problem hat, Joey. Sein Problem bist nicht du, sondern der Alkohol.«
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    »Wir haben ein Haus«, murmelte er.
    »Und wenn ihr keins hättet, glaubst du, daß dein Vater dann glücklicher wäre?«
    Keine Reaktion. Jetzt starrte er auf seine Schuhe.
    »Ich freue mich, daß du einige Zeit mit deinem Vater verbringen wirst. Ich weiß, daß du ihn vermißt hast.«
    »Er ist sehr beschäftigt.«
    »Ja.« Zu beschäftigt, um seinen Sohn zu sehen, zu beschäftigt, um auf die Anrufe der Psychiaterin zu reagieren, die versuchte, Wunden zu heilen. »Manchmal ist es so, daß Erwachsene von ihrem Leben ziemlich in Anspruch genommen werden. Sicher wirst du verstehen, wie schwierig jetzt alles für deinen Vater ist, da er einen neuen Job hat, denn du bist ja selbst auf einer neuen Schule.«
    »Nächsten Monat werde ich ein Wochenende mit ihm verbringen. Ganz bestimmt, auch wenn Mutti sagt, daß ich mich nicht darauf verlassen soll.«
    »Deine Mutter will dir bloß eine Enttäuschung ersparen, falls etwas dazwischenkommt.«
    »Er wird mich abholen kommen.«
    »Das hoffe ich sehr, Joey. Aber wenn er es nicht tut …
    Joey …« Erneut berührte sie seinen Arm und schaffte es allein durch ihre Willenskraft, daß er sie ansah. »Wenn er es nicht tut, mußt du dir darüber im klaren sein, daß es nichts mit dir zu tun hat, sondern mit seiner Krankheit.«
    »Ja.«
    Er stimmte ihr zu, weil sich auf diese Weise am leichtesten eine Auseinandersetzung vermeiden ließ. Das wußte Tess, und nicht zum erstenmal wünschte sie, seine Eltern überzeugen zu können, daß er eine umfangreichere Therapie brauchte.
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    »Hat deine Mutter dich heute hergebracht?«
    Nach wie vor war sein Blick gesenkt, doch sein Zorn war verflogen; zumindest schien es nach außen hin so.
    »Mein Stiefvater.«
    »Kommst du immer noch gut mit ihm aus?«
    »Er ist okay.«
    »Wenn du ihn magst, heißt das nicht, daß du deinen Vater weniger magst, weißt du.«
    »Ich habe doch gesagt, er ist okay.«
    »Gibt’s an deiner neuen Schule hübsche Mädchen?« Sie wollte, daß er wenigstens einmal lächelte, irgendwie, aus irgendeinem Grund lächelte.
    »Glaub schon.«
    »Du glaubst es?« Vielleicht war es das Lächeln in Tess’
    Stimme, das ihn dazu brachte, wieder aufzusehen. »Ich habe eigentlich den Eindruck, daß du gute Augen hast.«
    »Kann sein,

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