Vermächtnis der Schwerter Tausendsturm
ihr kostbares rotes Gewand zu bestaunen, das ihre Figur perfekt zur Geltung brachte. Daia hatte sich in der Tat sehr aufreizend zurechtgemacht. Sie genoss es sichtlich, von allen bewundert zu werden, ebenso wie Meatril, der neben ihr mit stolz erhobenem Haupt den Komplimenten über die Schönheit seiner Auserwählten lauschte, dabei aber eifersüchtig darüber wachte, dass jeder die gebührende Zurückhaltung übte. Niemandem war das Eintreffen Megas’ aufgefallen, dessen Blick nun suchend weiterschweifte, bis er in einer Ecke Arton entdeckte, der dort in seiner prunkvollen Rüstung mit den Silbereinlagen stand wie eine lebende Statue. Er machte ein Gesicht, als müsste er schlimme Schmerzen ertragen. Dieser gequälte Ausdruck überraschte Megas ein wenig, da er den Leiter der Schule sonst als äußerst beherrscht kannte. Arton war immerhin der Einzige, der ihn mit Respekt und nicht schlechter als die anderen Schüler behandelte. Zumindest ihn bedauerte Megas doch ein wenig, zumal er wirklich ein außergewöhnlicher Schwertkämpfer war. Was mochte wohl jetzt in seinem Kopf vorgehen, das ihn so peinigte?
Aber Megas hielt sich nur kurz damit auf, die Gemütsverfassung seines Meisters zu ergründen. Ihm war nicht entgangen, dass Tarana fehlte, was ihn angesichts Artons grimmiger Miene zu der Schlussfolgerung bewog, dass wohl wirklich einige der Gerüchte, die über das Verhältnis von Tarana und Arton in Umlauf waren, der Wahrheit entsprachen. Also zeigte sich auch der ältere der Erenorbrüder nicht gefeit gegen derartige Schwächen, folglich verdiente auch er in Megas’ Augen keinerlei Achtung. Ein wahrer Krieger musste nicht nur Herr seines Schwertes und seines Verstandes, sondern auch und vor allem seines Herzens sein.
›Das macht die Sache nur leichter‹, dachte Megas zufrieden, während er sich, als die große Gruppe nun lärmend die Schule verließ, mit einem selbstgefälligen Lächeln den anderen anschloss.
Als die Sonne gerade untergegangen war, erreichte der Zug den Marktplatz. Die Krieger der Schule machten großen Eindruck auf die einfachen Leute, die die Straßen verstopften. Überall wurde ihnen, soweit dies noch möglich war, respektvoll Platz gemacht. Tatsächlich wirkten die Gebrüder Erenor an der Spitze des Zuges Ehrfurcht gebietend. Beide trugen lange Bärenmäntel, mit Goldketten am Hals befestigt. Sie waren mit ihren Schwertern gegürtet und beide in voller Rüstung. Arton hatte seinen Lederpanzer mit den feinen Silbereinlagen angelegt, während sich Arden in einem golden schimmernden Harnisch präsentierte, der ein Geschenk einer edlen Dame gewesen war. Beide zeigten jenen selbstgefälligen Gesichtsausdruck, den man nur im Bewusstsein seiner eigenen Überlegenheit oder durch lange Gewohnheit mit solcher Selbstverständlichkeit zur Schau stellen kann. Hinter ihnen folgte der riesige Deran, der stets einige staunende Blicke auf sich zog, ohne es selbst zu merken. Neben ihm schritten seine beiden ansehnlichen Brüder Targ und Estol, dahinter Derbil, mit ihrem unerschütterlich fröhlichen Gesicht, und die atemberaubend schöne Daia, ständig besorgt, ihre Schönheit im besten Licht zu präsentieren. Dann kam ein buntes Durcheinander von hopsenden, schubsenden, kichernden und schreienden zukünftigen Kriegern, begleitet von Meatril und Eringar, die vergeblich versuchten, die jungen Schüler im Zaum zu halten. Mit etwas Abstand bildete der schweigsame und ewig lächelnde Megas den Schluss des Zuges. Maralon hatte sich bereit erklärt, ausnahmsweise allein die Wache in der Schule zu übernehmen, damit keiner der anderen vom Fest ausgeschlossen sein würde. Eigentlich taten am Tor zur Kriegerschule stets zwei Wachposten Dienst. Diese schichtweise Bewachung des Eingangs durch jeweils zwei Adepten ging zurück auf die kriegerischen Anfangstage der Schule, erschien jedoch in der heutigen ruhigen Zeit eigentlich vollkommen überflüssig. Aber Maralon hatte immer an dieser althergebrachten Tradition festgehalten, um die Disziplin seiner Schüler zu stählen und ihnen ein Gefühl der Verantwortung für ihre Ausbildungsstätte zu vermitteln. Deshalb wechselten sich das ganze Jahr bei Tag und Nacht, gleich ob Schneesturm oder Sommerhitze, die Schwertschüler darin ab, immer zu zweien Posten am Tor zu stehen. Der heutige Tag stellte die einzige Ausnahme dar.
Als die Gruppe noch ein gutes Stück vom Marktplatz entfernt war, standen die Menschen so dicht, dass an ein Fortkommen nicht mehr zu denken war.
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