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Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Vermächtnis des Schweigens (German Edition)

Titel: Vermächtnis des Schweigens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Gudenkauf
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gestorben wäre, hätte man sie nicht ins Krankenhaus gebracht. Aber ich weiß, dass meine Eltern böse auf mich waren, weil ich die Polizei gerufen und damit der ganzen Welt eröffnet hatte, dass ihre perfekte Tochter doch nicht so rein und unschuldig war, wie sie geglaubt hatten.
    Ich gebe Milo das Signal, das ihn erlöst, und er läuft zu seiner Futterschüssel und schlingt gierig das Futter hinunter. Danntrottet er zu mir und drückt seine Nase an mein Bein, als wolle er mir danken. Als das Telefon klingelt, stellt er die Ohren auf, dann knurrt er leise. Gedankenverloren scheuche ich ihn davon, während ich nach dem Hörer greife, und er jault ein wenig, als ich ihm befehle, sich hinzulegen.
    „Hallo“, sage ich.
    „Brynn, bitte leg nicht auf“, sagt sie schnell. „Bitte, lass mich dich besuchen kommen. Ich muss mit dir reden. Bitte.“ Anfangs erkenne ich die Stimme gar nicht, aber dann dämmert es mir schnell. Ich kann kaum glauben, dass sie es ist. Als wir aufgewachsen sind, hat Allison immer so selbstsicher geklungen. Das Mädchen, das ich durch die Leitung höre, klingt verzweifelt, verängstigt, aber es ist meine Schwester, und ihre Stimme trifft mich mitten ins Herz. „Ich habe ihn gefunden“, fährt sie eilig fort. „Ich habe den Jungen gefunden …“
    Ohne etwas zu sagen, knalle ich den Hörer auf die Gabel.
    Ich spüre, wie mir die Brust eng wird und sich mir die Kehle zuschnürt, obwohl ich seit Monaten keine richtige Panikattacke mehr gehabt habe. Warum kann Allison mich nicht einfach in Ruhe lassen? Mir ist es egal, dass sie aus dem Gefängnis gekommen ist, auch, dass sie Wiedergutmachung leisten will. Ich bin besser ohne sie dran. Mir geht es besser, wenn ich vergesse, was in jener Nacht passiert ist. „Nein, nein, nein!“, rufe ich, und Milo antwortet mir mit einem lauten Bellen. „Nein!“, rufe ich noch einmal in Richtung Telefon.
    Das Telefon klingelt erneut, laut und schrill. Ich lasse mich langsam auf den Linoleumboden sinken und halte mir die Ohren zu.

ALLISON
    Ich betrete Bookends , als wäre nichts geschehen. Claire begrüßt mich mit einem Kaffee und einem Donut. „Du bist wiedergekommen!“, zieht sie mich auf. „Ich dachte, ich hätte dich vielleicht für immer verschreckt. Mir gefällt dein neuer Haarschnitt.“
    „Oh nein“, wiegele ich ab. „Mir gefällt es hier. Danke für die Chance.“ Etwas verlegen fahre ich mir mit den Fingern durch meine frisch geschnittenen Locken. „Danke.“
    „Komm mit. Gestern Nachmittag ist eine neue Büchersendung angekommen. Ich zeige dir, wie man sie erfasst.“
    Eine Weile lang arbeiten wir schweigend. Noch immer staune ich über die vielen Bücher und muss mich zwingen, weiterzuarbeiten und nicht aufzuhören, um sie zu öffnen und zu lesen.
    „Es muss hier schwer für dich sein“, bricht Claire schließlich das Schweigen. Ich bekomme ein beklommenes Gefühl in der Magengegend. Sie kann es nicht wissen. Auf gar keinen Fall. „Ganz neu anzufangen. Das muss sehr schwer sein.“
    Ich nicke langsam. „Das ist es“, flüstere ich. „Es ist, als wenn die ganze Welt sich weiterbewegt hat, nur ich bin stehen geblieben. Ich bin einundzwanzig, ich sollte mit dem College fertig sein, mit einem Beruf anfangen … aber ich bin hier.“
    „Du darfst dich davon nicht aufhalten lassen“, erklärt Claire. „Niemand weiß, was er wirklich mit dem Rest seines Lebens anfangen will, wenn er einundzwanzig ist. Ich wusste es ganz sicher nicht. Weißt du, was ich getan habe, als ich so alt war wie du?“ Ich schüttele den Kopf. „Ich war Bibliothekarin.“
    „Wirklich?“ Ich schätze, das sollte mich nicht überraschen, tut es aber.
    „Natürlich“, fährt Claire fort, „verlassen die meisten Leute nicht das College und eröffnen gleich ihr eigenes Geschäft. Ich musste erst vieles in der Bücherei lernen und Jonathan treffen, bevor mir dämmerte, was ich wirklich wollte: einen eigenen Buchladen.“
    „Wie hast du Jonathan kennengelernt?“, frage ich.
    Claire lacht. „Bei einer Flut, so unglaublich das auch klingt.“
    „Wirklich?“ Ich bin beeindruckt. „Was ist passiert?“ „Komm, lass uns schnell über die Straße laufen und etwas essen, dann erzähle ich dir alles.“
    „Können wir das?“, frage ich überrascht.
    „Können wir einfach so gehen?“
    „Das ist das Schöne daran, wenn man einen eigenen Laden hat“, erklärt Claire und zwinkert mir zu. Sie schließt die Tür hinter uns ab, und wir gehen über die Straße zu

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