Vermählung um Mitternacht
weiß doch jeder.«
Julia wandte sich an Alec. »Edmund hat auf schamloseste Weise mit einer verheirateten Frau geflirtet.«
Lady Birlington schnalzte mit der Zunge. »Es würde dir nur Recht geschehen, wenn dich Lord Chowerton zum Duell fordert, Edmund. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich nicht zögern, dir mitten ins Herz zu schießen.«
Edmund riss den Mund auf, doch bevor er noch etwas sagen konnte, stieß Julia ihm den Fächer zwischen die Rippen. »Sie sollten sich ein nettes, ungebundenes Mädchen suchen. Es gibt davon jede Menge - auch welche ohne Tanzpartner.« Sie guckte sich im Raum um, als wollte sie irgendein unglückliches Mädchen aus dem Stuhl reißen und in Edmunds ausgebreitete Arme schieben.
Edmund wandte sich mit wildem Blick an Alec. »Sag Julia, dass es verteufelt unschicklich ist, über solche Sachen zu sprechen.«
»Zu meiner Zeit war es das nicht«, erklärte Lady Birlington. »Wir haben über viel schlimmere Sachen geredet. Stunden haben wir damit verbracht, darüber zu spekulieren, wer mit wem etwas hat, und haben uns dabei prächtig amüsiert.«
Julia nickte. »Mein Vater meinte, dass eine nicht ausgesprochene Wahrheit genauso viel Schaden anrichten kann wie die übelste Lüge.«Zornig starrte sie Edmund an. »Man sollte immer die Wahrheit sagen, was es einen auch kosten mag.«
Edmund ließ sich in einen Sessel fallen und zerrte an seinem Halstuch. »Könnten, wir jetzt bitte von etwas anderem sprechen?« Alec erbarmte sich seiner. »Lady Birlington, ich wollte mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich Julias angenommen haben.«
Die alte Dame musterte seine Frau eingehend und erwiderte widerstrebend: »Ja, ja, es geht schon, aber mit dem Bronzefarbenen hätte sie mehr Aufsehen erregt.«
Julia fing Alecs fragenden Blick auf und errötete. »Es ist sehr unschicklich und bis hierher ausgeschnitten.« Sie deutete mit ihrem Fächer auf ihren Ausschnitt.
Alec starrte auf die Stelle direkt an ihrem Busenansatz, der jetzt von einem keuschen Spitzeneinsatz verdeckt war. Er räusperte sich. »Lady Birlington kann doch nicht gewollt haben, dass du etwas so Offenherziges trägst.«
Lady Birlington schnaubte. »Doch, natürlich. Ich hab ihr auch vorgeschlagen, dass sie sich die Unterröcke anfeuchtet, aber auch davon wollte sie nichts wissen. Schade. Ich hätte lieber eine verwegene als eine gesetzte Dame in die Gesellschaft eingeführt, aber man kann eben nicht alles im Leben haben.«
»Sie haben ihr was vorgeschlagen?« Vielleicht war mit seinem Gehör etwas nicht in Ordnung.
»Sie sollten sich mehr mit Mode befassen, Hunterston. Alle feuchten die Unterröcke an. Ich würd’s ja auch machen, wenn ich nicht Angst hätte, mir dabei den Tod zu holen. Ich mag zwar wie eine alte Hexe aussehen, aber ich habe noch immer eine Figur wie ein junges Mädchen. Zumindest hat man mir das gesagt.« Etwas, was verdächtig an ein geziertes Lächeln erinnerte, huschte über ihr Gesicht.
»Wer hat etwas derartig Ungehöriges dir gegenüber geäußert?« verlangte Edmund zu wissen.
»Sei still. Wir sprachen von Julia, nicht von mir.«
Die Unterhaltung zwischen Edmund und seiner Tante artete bald in einen Streit aus, und Alec wandte sich an Julia.
»Lass uns tanzen.«
»Aber das ist ein Walzer.«
»Umso besser.« Er fasste sie um die Taille und zog sie auf die Tanzfläche.
Gleich darauf begriff er Monsieur Armondes Verzweiflung. Julia besaß keinerlei Sinn für Rhythmus, dafür eine enervierende Neigung, die Führung zu übernehmen. Indem er sie eisern festhielt, zwang er sie zu etwas, was einem Walzer entfernt ähnelte.
Allerdings gab es für ihr Unvermögen auch Entschädigungen. Zum einen musste er sie sehr viel enger umschlungen halten als die empfohlenen zwölf Zoll. Bei jeder Drehung streiften ihre Brüste seine Rockaufschläge, worauf sie bezaubernd errötete. Er stellte sich vor, wie sich ihre Brustspitzen versteiften, wie ...
Zum Teufel mit dem Testament, zum Teufel mit den Testamentsvollstreckern, zum Teufel mit der ganzen Tortur. Lieber Himmel, er würde noch in der Irrenanstalt enden.
Nach schier endlosem Schweigen raffte Alec sich zu einem Kommentar auf: »Ganz schönes Gedränge, was?« Gleich darauf ärgerte er sich darüber, wie banal die Bemerkung war.
»Hmm.«
»Vermutlich wird es so bald nicht regnen, oder was meinst du?«
Diesmal gab sie sich nicht einmal den Anschein, ihm antworten zu wollen.
»Der Frühling war unglaublich kalt dieses Jahr. Die Rosen sterben bestimmt einen
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