Verrat im Zunfthaus
fuchsroten Hengst heran: Tilmann Greverode, der Hauptmann der Stadtsoldaten. Er sprang vom Rücken des Pferdes und drängte sich an den Schaulustigen vorbei.
«Was ist hier los?», blaffte er Achim an. «Sagte ich nicht, es soll kein Aufsehen erregt werden?»
«Mein Vater!», schrie Adelina ihn an. «Eure Leute haben ihn umgebracht! Und meine Magd …»
Ihre Stimme ging im erneut aufbrandenden Protestgeschrei der versammelten Menschen unter. Die Menge wurde zusehends unruhig. Wütende Stimmen wurden laut, die eine sofortige Aufklärung forderten.
Greverode sah Adelina aus schmalen Augen an, dann drehte er sich um und betrat das Haus. Sie hörte ihnmit den anderen Soldaten reden, dann war es eine Weile still. Der Büttel hätte sie gerne abgeführt, doch Adelina wehrte sich mit aller Kraft.
Wieder hörte man die Stimmen der Soldaten, dann fluchte Greverode laut. Als er zurück auf den Platz kam, starrte er Achim so zornig an, dass dieser den Kopf einzog. «Festnehmen, hatte ich gesagt, du dämlicher Hund! Nicht umbringen!» Das letzte Wort wurde von einem Kinnhaken begleitet, der Achim von den Füßen riss. Ein heftiger Fußtritt folgte, unter dem sich der Soldat wimmernd krümmte. «Nicht einen Moment kann man euch aus den Augen lassen, verdammich!» Greverode trat erneut zu.
Ein Raunen ging durch die Reihen der Schaulustigen.
Die Haustür öffnete sich, und die Soldaten zerrten Gustav mit sich heraus. Er war fast bewusstlos, offenbar hatte ihn Greverodes Zorn zuerst getroffen.
Mattes kam als Letzter, er zog ein wimmerndes Bündel mit sich – Franziska. Adelina starrte entgeistert auf das Mädchen, das halbnackt hinter dem Soldaten herstolperte.
«Sie haben sie geschändet!», schrie eine Frau, die weit vorne stand. Die Menschenmenge schloss einen immer engeren Kreis um die Soldaten, Adelina und Franziska. Den Soldaten wurde die aufgeheizte Stimmung unheimlich, sie drängten die wütenden Menschen mit Säbelrasseln zurück.
Greverode starrte Franziska an, dann Achim und Gustav. Der Hauptmann wurde weiß wie Kalk. «Was ist mit ihr geschehen?», knirschte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. Doch er wartete nicht auf eine Antwort. Stattdessen packte er Gustav am Kragen und verpassteihm einen erneuten Kinnhaken. Er prügelte auf den Soldaten ein, bis dieser sich wimmernd und jaulend in seinem eigenen Blut krümmte.
Aus der Menge der Schaulustigen wurden Anfeuerungsrufe laut.
Greverode spuckte neben Gustav auf den Boden. «Schafft ihn mir aus den Augen. Und du», er trat Achim noch einmal in die Rippen. «Steh auf! Du kannst dich noch auf was gefasst machen.» Er wandte sich an den Büttel. «Bring die Frau in den Bayenturm.»
Der Büttel nickte und zog an den Ketten von Adelinas Handfesseln.
Sie wehrte sich. «Nein, nein, ich muss … mein Vater, mein Sohn …»
«Ihr steht unter dem Verdacht auf Hochverrat», sagte Greverode, doch zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, lag nichts Verächtliches oder Bösartiges in seiner Stimme. Er schien ernsthaft zu bedauern, was geschehen war, und dass er seine Männer nicht besser im Griff gehabt hatte. «Ihr werdet bis zum Prozess festgesetzt», sagte er ruhig und wandte sich von ihr ab, um die Ordnung unter seinen Soldaten wiederherzustellen.
Der Büttel schubste Adelina heftig, um sie zum Gehen zu bewegen. Hinter sich hörten sie Franziskas leise Stimme: «Herrin! Bitte, lasst meine Herrin frei!»
Doch irgendjemand sagte etwas und schien die Magd zurück ins Haus zu drängen.
***
Die Zelle im Bayenturm, in die sie der Büttel gesperrt hatte, maß nicht viel mehr als drei Schritt in der Längeund vier in der Breite. Unter einer schießschartenartigen Fensteröffnung lagen eine zerschlissene Strohmatratze und eine nach Schweiß stinkende alte Wolldecke. In der rechten Ecke stand ein zwar leerer, jedoch nicht gereinigter Fäkalieneimer. Die Wände waren aus kaltem rauem Stein, der Fußboden bestand dagegen aus dicken dunklen Holzbohlen. Nur die Decke des Erdgeschosses war aus Stein gemauert worden. Die weiteren Stockwerke hatten hölzerne Zwischendecken und Innenwände. Für die Gefangenen wenigstens eine kleine Wohltat, denn das Holz war nicht ganz so kalt wie das Gemäuer ringsum.
Die Sonne stand bereits tief, ihre Strahlen vermochten kaum noch durch das mehrere Fuß dicke Außenmauerwerk zu dringen.
Adelina stand vor der schmalen Öffnung und starrte hinaus. Mehr als ein winziges Stück Himmel war von hier aus nicht zu sehen, doch sie nahm weder ihn noch
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