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Verr�ter wie wir

Titel: Verr�ter wie wir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John le Carr�
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auf, hinter ihm breiteten sich unberührte Wiesen und waldige Hänge. Von außen dagegen war es ein architektonisches Desaster: monströs, charmelos,anonym, ein Missklang in der Landschaft, mit weißem Stuck und rustikalen Einsprengseln, die seine neureiche Protzigkeit nur unterstrichen.
    Auch Luke hatte gewacht. Wenn Ollie auszog, um Vorräte und ausgesuchten Dorfklatsch mit heimzubringen, dann war es Luke der Bedenkenträger, der nach verdächtigen Passanten fahndete. Aber so scharf er auch hinsah, niemand beäugte argwöhnisch die beiden kleinen Mädchen, die im Garten mit Gail Seilhüpfen übten oder an der Böschung hinterm Haus Schlüsselblumen pflückten, um sie in den Sagogläsern, die Ollie aus dem Supermarkt herbeischaffte, auf ewig der Nachwelt zu erhalten.
    Nicht einmal die kleine alte Dame mit Trauerkleidern und Sonnenbrille erntete Blicke, die reglos wie eine Puppe auf dem Balkon saß, gepudert und geschminkt, die Hände im Schoß. Die Schweizer Ferienorte boten solchen Menschen schon seit Anbeginn des Fremdenverkehrs Asyl. Und sollte irgendein Vorbeikommender des Abends durch einen Spalt im Vorhang einen dicken Mann mit wollener Skimütze erspähen, der über ein Schachbrett gebeugt saß, mit zwei halbwüchsigen Jungen als Gegnern und Perry als Schiedsrichter, derweil Gail und die Mädchen hinten im Eck ihre neuesten DVD s von Photohaus Fritz guckten – nun, wenn das Chalet bislang noch keine Familie von Schachfanatikern beherbergt hatte, dann doch alles andere. Dass der König der Geldwäscher sogar der vereinten Geisteskraft seiner frühreifen Söhne noch eine Nase drehen konnte – wen interessierte das?
    Und wenn man dieselben halbwüchsigen Jungen tags darauf, schön unterschiedlich gewandet, hinter ihrem Antreiber Perry den steilen Felspfad vom Garten hinter dem Haus zum Grat des Männlichen hinaufkraxeln sah – Alexej jammernd, dass er sich jeden Moment seinen verfickten Hals brechen würde, während Viktor sich mit seinem Blickeduell mit einem kapitalen Hirsch brüstete, der in Wahrheiteine Gemse gewesen war –, was war daran so bemerkenswert? Perry seilte sie sogar an. Er hatte einen passenden Überhang gefunden, Kletterschuhe ausgeliehen und Seile gekauft (denn Seile, so erklärte er ihnen streng, seien für einen Bergsteiger etwas zutiefst Persönliches, Intimes) und brachte ihnen bei, wie man über einem Abgrund baumelt, selbst wenn der Abgrund nur vier Meter tief war.
    Was die zwei jungen Frauen anging – sechzehn, siebzehn die eine, die andere wohl zehn Jahre älter, beide auffallend hübsch –, die lesend auf Liegestühlen unter dem ausladenden Ahornbaum lagen, den die Planierraupen der Baufirma offenbar übersehen hatten: Gut, wenn man Schweizer und männlich war, dann schaute man vielleicht hin und tat so, als schaute man gar nicht, und wenn man Italiener war, sah man hin und klatschte Beifall. Aber man eilte nicht zum Telefon und verständigte die Polizei im Flüsterton, dass im Schatten eines Ahorns zwei verdächtige Frauen lagen und lasen.
    Das zumindest sagte sich Luke, und auch Ollie sagte es sich, und Perry und Gail als Ersatzmitglieder der Nachbarschaftswache sagten zwangsläufig nichts anderes – was freilich nicht hieß, dass irgendeiner von ihnen, auch nicht die kleinen Mädchen, jemals ganz das Gefühl loswurde, im Untergrund zu leben, im Wettlauf gegen die Zeit. Wenn Katja bei Ollies Frühstückspfannkuchen mit Speck und Ahornsirup fragte: »Fahren wir heute nach England?«, oder Irina in weinerlicherem Ton: »Warum sind wir immer noch nicht in England?«, dann sprachen sie für alle am Tisch inklusive Luke selbst, den Helden der Runde mit der eingegipsten rechten Hand, die er den schlüpfrigen Treppenstufen in seinem Berner Hotel verdankte.
    »Verklagst du das Hotel, Dick?«, wollte Viktor streitlustig wissen.
    »Ichmuss schauen, was mein Anwalt dazu sagt«, erwiderte Luke mit einem Lächeln zu Gail hinüber.
    Und was den genauen Zeitpunkt betraf, zu dem sie nach London aufbrechen würden: »Also heute eher nicht mehr, Katja, aber vielleicht morgen, oder übermorgen«, versicherte Luke ihr. »Es hängt einfach davon ab, wann eure Visa ausgestellt werden. Und wir wissen ja alle, wie Apparatschiks so sind, sogar die englischen, nicht wahr?«
    * * *
    Aber wann, o wann?
    Diese Frage beschäftigte Luke rund um die Uhr, jede wache und halbwache Stunde, dieweil Hectors atemlose Bulletins bei ihm eingingen: hier ein paar kryptische Sätze zwischen zwei Besprechungen, da eine

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