Verr�ter wie wir
klingen, aber Perry findet immer noch nicht Einlass in ihr Blickfeld, während sie es so hinzustellen sucht, als wäre es völlig normal, dass sich zwei kleine Mädchen nur wenige Tage nach dem Unfalltod ihrer Eltern am Strand vergnügen.
»Ihre Eltern waren am Mittwoch gestorben. Das Tennismatch fand am Mittwoch darauf statt. Ergo hatte der ganze Haushalt eine Woche lang getrauert, und Dima hatte verfügt, dass sie langsam ein bisschen frische Luft brauchten, also Schluss mit dem Trübsalblasen, auf geht’s zum Tennis.Wenn sie Juden waren, was uns durchaus denkbar erschien, wenigstens einige von ihnen, oder vielleicht zumindest die toten Eltern, dann hatten sie vielleicht bis dahin Schiv’a gesessen und mussten am Mittwoch ins Leben zurückkehren. Zu Tamaras Kreuz und ihrer christlichen Frömmigkeit passte das zwar nicht ganz, aber religiöse Stimmigkeit war hier nicht der Punkt, nicht bei diesem Haufen, und dass Tamara nicht ganz dicht war, wusste ja sowieso jeder.«
Yvonne wieder, respektvoll, aber dezidiert. »Ich will nicht drängeln, Gail, aber dieser Autounfall, von dem Irina gesprochen hat. Hat sie sonst noch etwas darüber gesagt? Zum Beispiel, wo sich der Unfall abgespielt hat?«
»Irgendwo außerhalb von Moskau. Vage. Sie schob es auf die Straßen. Die Straßen wären so voller Löcher. Alle fahren in der Straßenmitte, um die Löcher zu vermeiden, da müssen die Autos natürlich zusammenstoßen.«
»War von einem Krankenhausaufenthalt die Rede? Oder waren Mama und Papa auf der Stelle tot? Wie lautete da die Geschichte?«
»Sofort tot. ›Ein riesengroßer Laster kam die Straße entlanggedonnert und hat sie totgemacht.‹«
»Irgendwelche sonstigen Todesopfer, abgesehen von den Eltern?«
»Ich war nicht allzu gut bei den weiterführenden Fragen, fürchte ich« – sie merkt, wie sie unsicher wird.
»Aber gab es zum Beispiel einen Fahrer? Wenn der Fahrer auch umgekommen ist, wäre das doch bestimmt Teil der Geschichte gewesen, oder?«
Yvonne hat die Rechnung ohne Perry gemacht.
»Weder Katja noch Irina haben etwas über einen Fahrer gesagt, tot oder lebendig, weder direkt noch indirekt, Yvonne«, erklärt er in dem langsamen, methodischen Ton, der bei ihm sonst faulen Studenten und übergriffigen Leibwächtern vorbehalten ist. »Es fiel kein einziges Wort übersonstige Unfallopfer, Krankenhäuser oder die in den Unfall involvierten Automarken.« Seine Stimme wird lauter. »Oder über Vollkasko oder …«
»Schnitt!«, sagt Luke.
* * *
Gail war noch einmal nach oben gegangen, diesmal ohne Geleitschutz. Perry blieb, wo er war, die Stirn in die Finger der einen Hand gestützt, während er mit der anderen Hand nervös auf dem Tisch herumklopfte. Gail kam zurück und setzte sich hin. Perry schien es gar nicht zu bemerken.
»Also, Perry«, sagte Luke, ganz resch und geschäftsmäßig.
»Was also?«
»Kricket.«
»Das war doch erst einen Tag später.«
»Das ist uns klar. Es steht ja in Ihrem Dokument.«
»Warum lesen Sie es dann nicht?«
»Ich dachte, das hätten wir schon durchdiskutiert, oder?«
Na schön, es war am nächsten Tag, selbe Zeit, selber Strand, anderer Abschnitt, bestätigte Perry mürrisch. Dieselben Minivans mit den getönten Scheiben hielten in der Parkverbotszone, und zum Vorschein kamen nicht nur Elspeth, die beiden Mädchen und Natascha, sondern auch die Jungs.
Dennoch, das Wort Kricket blieb nicht ganz ohne Wirkung auf Perry: »Wie zwei halbausgewachsene Fohlen kamen sie mir vor, die zu lange im Stall eingesperrt waren und jetzt endlich losstürmen dürfen«, sagte er, unversehens mitgerissen von der Erinnerung.
Für ihren heutigen Strandbesuch hatten Gail und er sich eine Stelle gesucht, die so weit von Three Chimneys entfernt lag wie nur möglich. Nicht um sich vor Dima und Co. zu verstecken, aber sie hatten eine schlechte Nacht hintersich und waren spät und mit dröhnenden Kopfschmerzen aufgewacht, nachdem sie so leichtsinnig gewesen waren, von dem Willkommens-Rum zu trinken, der sie in ihrem Häuschen erwartet hatte.
»Und es gab ja sowieso kein Entkommen vor ihnen« – Gail fand es an der Zeit, von ihm zu übernehmen. »Nirgends auf dem ganzen Strand. Oder, Perry? Nirgends auf der ganzen Insel, so gesehen. Warum waren die Dimas so unheimlich interessiert an uns? Ich meine, wer waren sie überhaupt? Was wollten sie? Und warum von uns? Sooft wir um eine Ecke bogen, standen sie schon da, so kam es uns langsam vor. Wenn wir in unserem Häuschen saßen, starrten
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