Verscharrt: Thriller (German Edition)
gleichzutun. Auf jeden Fall hat der Ernst, mit dem sie sich der Perfektionierung der immer wieder gleichen Abfolge von Tricks widmen, etwas Rührendes.
Die Geräusche und Bewegungen entfalten sich in hypnotischem Rhythmus. Erst anschieben und rollen, dann die viel zu weiten Jeans hochziehen, in die Hocke gehen und springen. Wie durch ein Wunder scheint das Brett unter den Turnschuhen zu schweben, dann gleitet es über die Stange, und die Geschickteren haben ein so hohes Tempo drauf, dass der Schwung am Ende noch reicht, um zum Anfang zurückzurollen. Ein großer, dünner Skater fällt wegen seines Tempos und seines schnörkellosen Stils auf; jede seiner Gesten ist auf das absolut Wesentliche reduziert. Als er Pause macht, umringen ihn die anderen, und O’Hara rückt näher ran. Nach ein paar Minuten wabert eine wohlriechende Wolke in ihre Richtung. O’Hara blickt auf die Uhr– 8:03 Uhr–, und sie kann nicht anders, als daran zu denken, dass sie in den vergangenen Tagen um genau diese Uhrzeit bei Milano’s was trinken war.
» Riecht gut « , sagt O’Hara.
» Schmeckt auch gut « , sagt der große Skater. Er hat dichtes fettiges Haar und Akne, und wirkt ohne sein Brett noch ausgezehrter. Neben ihm sitzt ein kleiner gut aussehender Junge mit einem sauberen weißen T-Shirt und einem Bart. Er sieht aus wie Springsteen auf dem Cover von Born to Run.
» Das ist nicht zufällig dieses Hydrokraut, von dem ich letztes Jahr gehört habe? «
» Das liegt gar nicht in unserer Preisklasse « , sagt der Große. » Außerdem ist mir der Shit fast schon zu stark. «
» Ich such das Zeug seit Ewigkeiten. Soll eine Überraschung für meinen Freund sein. «
» Deinen Freund? « , fragt der Skater mit einem elektrisierenden Grinsen, das seine Akne vergessen macht. » Was für ein Einstieg in eine Unterhaltung. «
» Hab ich Freund gesagt? « , fragt O’Hara. » Ich meinte meinen Cousin Stanley. Meinen körperlich und geistig zurückgebliebenen Cousin Stanley. «
» Hältst du’s für ’ne gute Idee, ’nem Spasti Hydrogras zu schenken? «
» Wahrscheinlich nicht « , räumt O’Hara ein.
» Ich will ja nicht stören « , sagt Springsteen, » aber wer zum Teufel bist du eigentlich? Und woher sollen wir wissen, dass du kein Cop bist? «
Es gibt drei Möglichkeiten vom Streifenpolizisten zum Detective aufzusteigen. Die erste und verlässlichste ist natürlich Nepotismus, wenn man Beziehungen hat, einen Captain als Onkel oder einen Lieutenant zum Vater. Eine andere Möglichkeit ist, sich einen Ruf als aktiver Cop zu erarbeiten, was O’Hara gemacht hat, direkt nach der Polizeiakademie, am Times Square, bei einer Einheit zur Verbrechensbekämpfung. Oder aber man geht zur Drogenkommission und arbeitet undercover, was die bei Weitem gefährlichste und auch abwechslungsreichste Methode ist. O’Hara kennt die ganzen Geschichten, vor allem die über Jerry Reinsdorf, einen Detective und Kollegen bei der Mordkommission. Reinsdorfs Begabung, den zugedröhnten Junkie aus Jersey zu markieren, ist legendär. Er legte sich mitten auf dem Washington Square in eine Pfütze und plärrte wie ein Kleinkind, oder er zog seinen Schwanz aus der Hose und betrachtete ihn mit wissenschaftlich nüchternem Blick, als hätte er ihn noch nie gesehen. Seine ungenierten Auftritte führten regelmäßig zu erfolgreichen Festnahmen und ließen die in der Nähe geparkten zivilen Transporter wackeln, so sehr mussten die darin sitzenden Kollegen lachen. Die Geschichten bestätigten, was O’Hara längst begriffen hat: Um ein guter Cop zu sein, muss man vor allem ein guter Cop sein. Aber beinahe ebenso wichtig ist die Fähigkeit, andere Cops zum Lachen zu bringen. O’Hara hat nämlich auch von weniger begabten Kollegen gehört, Doris zum Beispiel, die schauspielerisch so wenig überzeugte, dass hinterher behauptet wurde, nicht mal der blinde Pakistani am Kiosk an der Ecke hätte ihr freiwillig eine Post verkauft. » Hey, Doris, wenn du rausgehst, kannst du mir einen Kaffee mitbringen? Oder halt mal, wenn ich’s mir recht überlege, lass es lieber– die würden dir ja sowieso keinen verkaufen. «
Also, wie wird sie sich anstellen, fragt sich O’Hara, wie Jerry oder wie Doris?
» Seh ich aus wie ein Cop? « , fragt O’Hara.
» Hm… ehrlich gesagt… « , erwidert der Große.
» Mal sehen « , sagt sein vorsichtiger Begleiter, als würde er eine Liste durchgehen. » Uncoole Jeans: Treffer. Uncoole Frisur: Treffer. Uncoole Schuhe: absoluter und
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