Verschleppt
von Kriminellen sammelte, sammelten Kriminelle Daten von der Kripo. Der Privatwagen einer Kripobeamtin fiel womöglich zu sehr auf – ihr strahlend blauer Subaru Impreza und Maiers Porsche waren sowieso schon auffällig genug.
Joyce hatte ihren Wagen in einem Wohngebiet abgestellt, auf einem kleinen Parkplatz hinter einem Einkaufszentrum, wo zwischen den Pflastersteinen Gras und Unkraut wuchsen. Von dort aus waren sie zu Fuß weitergegangen. Maier hatte den Arm um ihre Schultern gelegt, und wie ein verliebtes Paar waren sie durch den verregneten, dunklen Abend spaziert, mit Kapuzen über den Köpfen. Sie hatten sich in dicke Skijacken gehüllt, welche die schwarze Kleidung, die Waffen und die sonstige Ausrüstung, die sie am Körper trugen, effektiv den Blicken entzogen. Das restliche Material befand sich in den Rucksäcken.
An der Straße, die nun in ihrem Rücken lag, waren sie über eine Mauer geklettert und durch einen verwilderten Garten gepirscht. Mit einer Eisenstange hatte Maier einen Teil der Holzverrammelung vor dem Fenster weggebrochen, und sie waren eingestiegen.
Es roch stark nach Schimmel in dem leerstehenden Haus, und die Holzdielen knarrten beängstigend. Aber es eignete sich hervorragend dazu, das Gebäude von Maxim zu observieren.
»Was machen wir mit den Frauen, die wir da drinnen eventuell antreffen?«, flüsterte Maier.
»Von eventuell kann keine Rede sein. Du kannst davon ausgehen, dass vier, fünf, vielleicht auch sechs Mädchen da drin sind. Für die werden wir nichts tun können.«
»Was passiert dann mit ihnen?«
»Ich könnte hinterher die Nummer für die anonyme Verbrechensmeldung anrufen, dann würden meine Kollegen sie auffangen. Aber das werde ich nicht tun. Davon haben sie nämlich gar nichts. Eine Nacht in der Zelle, eine Woche in einem Asylbewerberheim oder so, und dann werden sie ausgewiesen. Das bringt’s nicht. Ich gehe davon aus, dass sie diejenigen, denen sie bislang gehorchen mussten, demnächst los sein werden, und zwar endgültig. Wenn sie ein bisschen clever sind, dann plündern sie den Laden und machen sich aus dem Staub, bevor es jemand mitbekommt und der nächste prügelnde Zuhälter auftaucht.«
»Plündern?«
»In solchen Läden ist immer Geld zu finden. Bargeld, und zwar viel. Das kann dir ja wohl nicht neu sein. Sobald wir da weg sind, können die Mädchen sich bedienen. Jedes Los gewinnt.«
»Mal davon abgesehen, dass sie dann zwischen den Leichen herumturnen müssen. Ist das nicht …?«
»Roh? Die Frauen hassen diese Kerle. Die haben ihnen schon tausendfach den Tod gewünscht.« Joyce schüttelte ihre Jacke ab, rollte sie fest zusammen und stopfte sie in den Rucksack. »Es ist dunkel, und nichts regt sich. Ich glaube, ich leg’s mal drauf an.«
Maier lehnte die Stirn an das Holz. Starrte durch das Loch zu dem Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Zuvor, im Keller, hatte er sich noch Sorgen gemacht wegen des Lärms. Lediglich seine Sig war mit einem Dämpfer ausgestattet. Joyce’ Walther würde ziemlich viele Dezibel produzieren. Unakzeptabel viele sogar, in Anbetracht der Tatsache, dass ringsum Leute wohnten. Aber sie hatte sich darüber keine Gedanken gemacht, und jetzt begriff er auch, warum. Rechts von dem Bordell befand sich eine Mauer mit einem Tor, sprich, das Haus grenzte rechts nicht an ein anderes. Lediglich Garagen und Lagerräume schlossen an das Bordell an. Das Gebäude, in dem sie selbst sich gerade befanden, war auch schon lange nicht mehr bewohnt. Die zivilisierte Welt fing erst wieder an, wenn man die Straße ein Stück weiter hinunterging.
Trotzdem war es hier alles andere als still. Der unablässig rauschende Verkehr und ununterbrochen prasselnde Regen waren auf ihrer Seite.
»Bist du bereit?«, hörte er sie fragen. Die Anspannung hatte von ihrer Stimme Besitz ergriffen.
Er schaute zu der dunkel und bedrohlich aufragenden Gebäudefront hinüber, die im Regen sanft glitzerte. Sein Herz schlug schneller. »Und ob ich bereit bin.«
58
Susan konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich vor Kurzem noch Gedanken über ihre Schwester gemacht hatte. Über Banalitäten wie die Tatsache, dass sie sich auseinanderentwickelt hatten und erst in Illinois merkten, dass sie sich trotz ihrer engen Familienbande nie richtig nahe gewesen waren und es wohl auch in Zukunft nicht sein würden.
Dass sie sich Gedanken über unbezahlte Rechnungen gemacht hatte.
Darüber, dass Reno ihre Wohnung als Liebesnest benutzte.
Über
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