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Verschollen

Titel: Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Smedberg
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Gespräche mit Ivarsson.
    Hier war der Tonfall ein anderer. Eine Wachsamkeit, ein gespanntes Interesse, die man noch nicht in dem allerersten Gespräch hatte finden können.
    Ein missmutiger Zug glitt über sein Gesicht. Er wollte diese Aufmerksamkeit.
Er
sollte sie bekommen, er hatte ein Recht dazu.
    Es ging auf drei Uhr zu. Man konnte schon die Dämmerung erahnen. Das Licht verblasste immer schneller, verschwand zunehmend. In wenigen Stunden würde es dunkel sein.
    Er stand am Fensterrahmen und sah hinaus auf die Straße. Die meisten Häuser waren renoviert, die Fassaden neu verputzt. Genossenschaftswohnungen sowohl im Vorder- als auch im Hinterhaus. Ein gut situiertes, hell erleuchtetes Viertel. Mit Gegensprechanlagen und Sicherheitsvorkehrungen, die dem Lebensstil der hier lebenden Menschen angemessen waren. Ein Wachdienst machte seine Runden.
    Sein Blick wanderte durch die Dunkelheit zwischen den Häusern umher, durch die schmalen Wege und Durchgänge. In Gedanken ging er weiter, bis hinaus zu den Randbezirken, zu den heruntergekommenen und zertrampelten Grasflächen und halb leeren Parkplätzen. Dort, wo die Dunkelheit die Herrschaft hatte. Sie brachte die Menschen dazu, schneller zu gehen, ängstliche, unruhige Blicke über ihre Schultern zu werfen und erleichtert aufzuatmen, wenn sie in den Schein einer Straßenlaterne bei einer Bushaltestelle oder eines U-Bahn-Aufgangs treten konnten.
    Er musste unweigerlich lächeln. Er hat sich nie von der Dunkelheit bedroht gefühlt, hatte nie Angst vor ihr gehabt. Ja, er kannte Angst überhaupt nicht. Er prüfte den Geschmack des Wortes. Es hatte keinen tieferen Sinn, zumindest nicht für ihn. Wohl kannte er es, dass sich sein Puls beschleunigte, wenn etwas Unvorhergesehenes geschah und in ihm eine Spannung, eine Wachsamkeit und Bereitschaft wuchs. Aber nichts, was ihn lähmte oder ihm das Signal für eine überstürzte Flucht gab. Das Gegenteil traf ein. Er wurde viel gefasster, konzentrierter. Eine Kälte schien das Geschehen um ihn herum förmlich einzufrieren, so als würden sein Gehirn und alle Sinnesfunktionen mit ungeheuerlicher Schnelligkeit arbeiten. Die Zeit, die blieb, um Beschlüsse zu fassen und zu handeln, war mit einem Mal unendlich. Dann hatte er das Gefühl, dass er vollkommen still stehen, alles um ihn herum registrieren und dann fast in Seelenruhe zwischen den verschiedenen Möglichkeiten wählen konnte.
    Man konnte seine Reaktionen irrtümlicherweise auch als Unsicherheit und Verängstigung interpretieren.
    Der Mann, dessen Namen er jetzt trug, hatte das getan. Hatte ihn als Opfer gesehen, als eine leichte Beute. Jemand, den man für seine Zwecke benutzen, ausnutzen konnte. Nie war ihm der Gedanke gekommen, dass es andersherum war. Dieses selbstgefällige Grinsen, das plötzlich erstarb, als er endlich begriff, was gleich geschehen würde...
    Er schob auch dieses Bild beiseite. Einen Augenblick lang überlegte er, was sein nächster Schritt sein würde, beschloss dann aber, erst einmal nichts weiter zu unternehmen. Nur zu warten. Zu beobachten. Von weitem.
    Er dachte an die Spur, die er gelegt hatte. Es war eher eine Einladung gewesen. Warum hatte er das getan?
    Er schloss die Augen und blieb regungslos stehen. Das war ihr Werk, dachte er plötzlich. Sie wollte nicht ein zweites Mal vergessen werden.

2
    Olle Ivarsson sah noch magerer aus als beim letzten Mal. Sein knochiges Gesicht wirkte ausgemergelt. Die Augen hatten sich tief in die Höhlen zurückgezogen. Sein langer Körper war in einen dunkelmelierten, maßgeschneiderten Mantel gehüllt, das graue Haar zurückgekämmt, als er unbeweglich in der kleinen Ankunftshalle stand und den Strom der Reisenden starr fixierte. Er hatte etwas von einer gut gekleideten Vogelscheuche, dachte Nielsen und musste lächeln.
    Er ergriff die ausgestreckte Hand und nickte in Richtung Mantel.
    »Sie sind in Zivil, wie ich sehe.«
    Olle Ivarsson legte den Kopf schief. »Ach, das sieht man?«
    »Sie könnten auf dem Weg zum Rotary Club sein«, erwiderte Nielsen.
    »Oder zu einer Beerdigung«, sagte Ivarsson lakonisch, nahm Nielsens Tasche, drehte sich um und ging hinaus zum Wagen, der quer auf einem Taxistand geparkt war. Er deponierte die Tasche im Kofferraum, schob sie so lange hin und her, bis er fand, dass sie richtig lag, und schlug die Klappe zu.
    »Es hat sich jetzt wieder beruhigt«, sagte er, als sie sich ins Auto gesetzt hatten. »In den ersten Tagen wimmelte es hier oben von Menschen. Dann ließ es nach. Der

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