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Verschwörung beim Heurigen

Titel: Verschwörung beim Heurigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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nicht zu nervig, und der Geschmack blieb lange im Mund.
    »Unser Traminer ist auch sehr schön«, sagte Maria und probierte ihn selbst. »Ich finde, er hat ein Rosenaroma. Oh, entschuldige,
     ich habe deinem Eindruck vorgegriffen.«
    Das stimmte leider. Carl hasste es, wenn ihm jemand beim Probieren sagte, was er da gerade trank. Kaum war die Rede von Erdbeeren,
     schmeckte man Erdbeere, bei Pflaume war es nicht anders, genauso bei Cassis oder Kirsche. Er wollte selbst darauf kommen.
     Wenn in dem Zusammenhang von einer ominösen »Weichselkirsche« gesprochen wurde – woher sollte man den Geschmack von Weichselkirsche
     kennen und das auch noch im Duft oder Geschmack feststellen? Er war nicht so geübt im Probieren, dass er auf Anhieb die Aromen
     hätte beschreiben oder besser dechiffrieren können. Einen guten von einem sehr guten Wein zu unterscheiden, das war ihm möglich,
     einen schlechten von einem sehr schlechten auch, aber zusätzlich Aussagen zur Säure zu treffen, sich über Wechselspiele auszulassen,
     ob die Säure geschmeidig war, sauer, beißend oder flach? Nein, lieber nicht. Man machte sich schnell lächerlich, und beim
     Wein war er mit dem Bluff noch nicht vertraut.
    »Wie kommst du als Übersetzer eigentlich zum Wein?« Marias Gesicht fand wieder zu ihrem gelassenen Ausdruck zurück und ihr
     Atem ging ruhiger.
    »Eine Zufallsgeschichte.« Carl war froh, das Thema zu wechseln. »Ich übersetzte ein portugiesisches Familiendrama, die Geschichte
     zog sich über Generationen, ein Spross dieser Familie versuchte das Weingut zurückzubekommen, das sein Vater in die Pleite
     getrieben hatte. Das gelang ihm auch, er wurde Winzer. In dem Zusammenhang tauchten Begriffe auf, die ich zwar wörtlich übersetzen
     konnte, aber nicht verstand, ich wusste nicht, was gemeint war, die Worte schienen mir Hülsen zu sein, ich verband damit nichts,
     kein Gefühl, keine Erfahrung   ... «
    |57| »Und was war   ... «
    »Ausgezehrt, das war eins,
enfraquecido,
kann aber auch geschwächt bedeuten, aber da stand
macilento,
wenn ich mich recht erinnere, das wieder heißt abgezehrt – ein abgezehrter Wein? Gibt’s das?«
    Maria nickte und lächelte endlich wieder.
    »Dann der Unterschied zwischen
paladar
und
sabor,
wobei das eine der Gaumen ist und das andere der Geschmack, auch die blöden Eigenschaftswörter wie holzig, künstlich oder
     oxidiert. Da denkst du unwillkürlich an Metall   ... und Vergleiche kamen vor, bei denen ich nicht wusste, wie damit umzugehen war, ob Wein nach Hefe schmecken kann   ... «
    »   ... wenn er schlecht gemacht ist, oder wenn es gewollt ist   ... «
    »Aha, heute bin ich auch schlauer. Der nächste Zufall: Ich bekam eine Einladung zu einer Verkostung in die Hand, in einer
     Weinhandlung bei uns in der Nähe. Heute sind der Weinhändler und ich so etwas wie Freunde. Wann immer er eine Einladung nicht
     wahrnehmen kann oder will, oder wenn man zu zweit kommen kann, ruft er mich an. Dadurch habe ich das Fachchinesisch gelernt,
     probiert, viel über Wein gelesen und bin in den Weinclub eingetreten; das Buch war schnell übersetzt, aber beim Wein bin ich
     geblieben. Ein großartiger Stoff.«
    »Bist du über diesen Weinhändler auch ins ›Le Méridien‹ gekommen?«
    »Ja, er hat mich auch als seinen Mitarbeiter bei der Verkostung im Schloss Esterházy angemeldet.«
    »So nimmt jeder auf seine Weise mit der Welt Kontakt auf. Bei mir ist es der Wein, bei dir sind es die Bücher«, bemerkte Maria,
     ohne zu ahnen, dass sie damit einen wunden Punkt berührte.
    Er hätte diesen unbefriedigenden Zustand liebend gern beendet, denn auch Johanna warf ihm das immer häufiger vor, sein Leben
     aus zweiter Hand, nichts Eigenes zu schaffen, zu |58| entwerfen. Dabei war eine Übersetzung viel mehr   ... aber gestern, Maria zur Hand zu gehen, das hatte ihm gefallen. Und was er hier auf dem Weingut sah, gefiel ihm noch viel
     besser.
    »Früher habe ich simultan übersetzt, doch das habe ich gelassen«, erklärte Carl und bemühte sich, seinen aufkeimenden Missmut
     zu überspielen. »Du wirst wahnsinnig, wenn du Politikerreden übersetzt, die sagen rein gar nichts – du erinnerst dich an eure
     Landeshauptfrau? Sie bezog sich nur auf das, was andere gesagt hatten, verlor sich in Allgemeinplätzen und stellte Forderungen
     auf, denen jeder zustimmen kann. Mir ist da ein Satz in Erinnerung: ›Es kann doch nicht jeder eine Goldmedaille gewinnen.‹
     Natürlich nicht! Aber das nimmt auch

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