Verschwoerung der Frauen
Mythologie den Männern zu überlassen. Die Männer dagegen ließen sich fast ausschließlich von den männlichen mythischen Gestalten inspirieren – die weiblichen ignorierten sie oder dachten ihnen nur Nebenrollen zu. Nur Foxx hatte eine Frau in den Mittelpunkt gestellt, ihre Gedanken zum Zentrum seines Meisterwerks gemacht.
Sein Buch beginnt, als Ariadne und ihr Hof die Ankunft des Schiffes mit den Stierspringern erwarten. Ariadne war prophezeit worden, unter ihnen befände sich Theseus, der Mann, den sie lieben würde. Die Frage, was diese Liebe für sie bedeuten wird, durchzieht den ersten Teil des Romans. Ariadnes Mutter, Pasiphae, liebte einen Stier, und Dädalus verlieh ihr die Gestalt einer Kuh, damit der Stier ihre Leidenschaft befriedigen konnte. Der Minotaurus, der aus dieser Vereinigung hervorging, wurde im Herzen des Labyrinths versteckt, und Ariadne war vorherbestimmt, den Mann zu lieben, der den Minotaurus tötete und wieder aus dem Labyrinth herausfände – denn das war der schwierigste Teil der Aufgabe. Weil sie Priesterin war –
wie der gebildete Leser wußte oder durch Lektüre der umfangreichen Sekundärliteratur zum ›Ariadne‹-Roman erfahren konnte –, erlaubt Foxx seiner Ariadne das Wissen um die andere (noch in der Zukunft liegende) verhängnisvolle Liebe in ihrer Familie – die Liebe von 101
Ariadnes Schwester Phädra zu ihrem Stiefsohn Hippolitos, dem Sohn von Theseus und Hippolyta, der Königin der Amazonen, die Theseus im Kampf besiegt hatte. Verhängnisvolle Lieben waren der Fluch, der auf dieser Familie lag. Und Foxx’ fasziniertes Interesse für diese verhängnisvollen Lieben – die verhängnisvollen Lieben aller Frauen – bildete den Kern seines Romans. In Ariadnes stürmischer Liebe zu Theseus, sinnierte Kate, sah Foxx zweifellos das Urbild von Gabrielles Liebe und Leidenschaft für ihn selbst.
Die Ironie, daß Ariadne mit dem Faden, den sie Theseus für das Labyrinth gab, ihrem eigenen traurigen Schicksal in die Hände spielte, war Foxx keineswegs entgangen. Seiner Meinung nach lenkten alle Frauen ihre Leidenschaften in solch tragische Bahnen, die die Männer dann für ihre eigenen Bedürfnisse ausnutzten. Jede Frau, die ihre Bestimmung in der Liebe sieht – und welche Frau, so hätte Foxx wohl gefragt, täte das nicht –, wird die ihrer Leidenschaft angemessenen Umstände herbeiführen, natürlich nur, wenn sie in der Lage ist, ihr Leben selbst zu lenken. Das Erstaunliche an Ariadnes Handeln lag für Foxx darin, daß sie, die doch in einem Matriarchat lebte und als Priesterin und Königin über enorme Macht verfügte, diese Macht einem Mann übergab, dessen Entscheidung oder Schicksal es sein würde, sie zu verlassen. Daß die herkömmlichen Beschreibungen ihrer Liebesgeschichte mit Theseus den Vater und den Geliebten in den Vordergrund stellten (die Leser werden an keiner Stelle aufgefordert, die Berichte über Pasiphae, Ariadnes Mutter, oder eine andere Frau hinzuzuziehen), machte für Kates Gefühl wieder einmal deutlich, wie die herkömmliche Geschichtsschreibung nur die Männer im Blick hat. Aus dieser Sichtweise sehnten Frauen sich nur danach, Männern zu helfen, von ihnen geliebt zu werden und ihrem untergeordneten Schicksal entgegenzueilen. Soviel war auch Foxx klar, und er hatte den Mut, seine Geschichte vom Blickwinkel der Frau aus zu erzählen. Graves mochte recht haben mit seiner Behauptung, Ariadne sei deshalb nicht weiter als bis zur Insel Dia gelangt, weil sie den Anspruch auf ihr Land nicht verlieren wollte. Wie sein Roman beweist, glaubte Foxx jedoch, Theseus habe sie verlassen, weil ihre Macht und Stärke ihm Furcht einflößten oder weil er Dionysos’ größeres Recht auf Ariadne anerkannte.
Kate war verblüfft von Foxx’ Selbstüberschätzung, denn plötzlich hatte sie begriffen, daß er mit der Verschmelzung von Theseus und Dionysos zu einer Figur sich selbst meinte: Ariadnes einzigen Geliebten. Die Ariadne-Gestalt in Foxx’ Roman hieß nun Artemisia 102
– der Name, auf den Foxx’ Enkelin getauft wurde, der aber (wie Kate aus Annes Memoir wußte) schnell von »Nellie« abgelöst wurde. Während sich Kate die Gemeinplätze der vielen Biographien, der Hansfordschen und anderer, ins Gedächtnis rief, fiel ihr plötzlich Foxx’ und Gabrielles erste Begegnung ein: Über labyrinthartige Pfade mußte Gabrielle ihn zu dem Buchenhain geführt haben, wo sie seine Geliebte wurde, seine Geliebte und willige Sklavin. Der griechischen Sage zufolge,
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