Verschwoerung der Frauen
die Kate vor kurzem noch einmal gelesen hatte, war Ariadne von Dionysos in eine Göttin, ein überirdisches Wesen verwandelt worden, und offenbar war Foxx davon überzeugt, das gleiche bei Gabrielle vollführt zu haben. Stellte sich nur die Frage: Wo blieb die wirkliche Gabrielle in all dem – im Mittelpunkt, wie Foxx meinte, oder nur im Mittelpunkt der Phantasie ihres Schöpfers und deshalb ihm untergeordnet?
Als Kate all dies endlich durchdacht hatte, war der Sonntag schon fast besiegt, und sie war bereit, sich mit Reed über die in der Sonntagszeitung geschilderten Ereignisse des Tages zu empören. Aber warum, grübelte sie immer noch, hatte Foxx Artemisia nur Geliebte zugedacht, die entweder unzulängliche Männer waren oder Frauen?
Artemisias Liebschaft mit Theseus waren weitere Lieben und Leidenschaften gefolgt, zumeist mit schwachen Männern, denen es entweder an körperlicher oder geistiger Kraft fehlte; in einer außergewöhnlichen Szene kam es jedoch auch zu einer leidenschaftlichen Begegnung mit einer anderen Frau. Im Gegensatz zu D. H. Lawrence, in dessen Darstellung lesbische Liebe finster und unheilvoll erschien, hatte Foxx die Leidenschaft der beiden Frauen in ein beglü-
ckendes, fast magisches Licht gerückt. Wie bei Lawrence tauscht die Geliebte seiner Heldin am Ende die Frauenliebe gegen die Liebe zu einem bösen Mann ein, aber solange ihre Leidenschaft für Artemisia währt, bildet sie ein Kernstück des Buches; gleichzeitig war sie der Hauptgrund, daß der Roman unter die Zensur fiel. Artemisia hatte die Herrlichkeit der Männer angezweifelt, aber, im Gegensatz zu Joyces Molly Bloom, andere Frauen nicht verachtet. Ebendiese Tatsache hatte verhindert, daß Foxx’ männerorientiertes Buch, als in den Siebzigern und Achtzigern die feministische Literaturwissenschaft aufkam, von den Frauen nicht voll und ganz abgelehnt wurde.
Kein Wunder also, daß man nun Fragen nach Gabrielle stellte. Kein Wunder, dachte Kate, daß die Entdeckung von Annes Memoir ein Anstoß war, eine Biographie über sie zumindest in Erwägung zu ziehen.
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Was hatte Gabrielle wohl von ›Ariadne‹ gehalten? Verdammt, warum bist du gestorben? schimpfte Kate mit Gabrielle, unvernünf-tigerweise, wie sie sehr wohl wußte. Warum hast du uns nicht er-zählt, was du dachtest? Warum hast du es nicht wenigstens Nellie oder Anne erzählt? Oder hast du vielleicht doch alles niedergeschrieben und Anne überlassen, es zu verstecken?
In allen Foxx-Biographien fanden sich Berichte von Leuten, die mit Gabrielle gesprochen hatten. Leute, die sowohl mit dem Schriftsteller wie auch mit seiner Frau befreundet waren, gaben mehr oder weniger beiläufige Bemerkungen Gabrielles wieder, aber auch Geständnisse, die sie in einem stillen Moment gemacht hatte. Einem Besucher hatte sie erzählt, ihr Mann habe sie zu Liebesaffären mit anderen Männern ermutigt, weil er ihre Reaktionen erforschen wollte. Sollte das wirklich stimmen? Und wenn ja, hatte sich Gabrielle seinen Wünschen gefügt? Kate hatte Dorinda um einen Abzug jenes Fotos von Gabrielle am Fenster gebeten. Es hing jetzt über ihrem Schreibtisch und fesselte ihre Aufmerksamkeit auf geradezu überna-türliche Weise.
»Dreh dich um«, wollte Kate zu ihr sagen – und sagte es. »Sag mir, was du denkst, was du von all dem Getue um ein Buch hältst, das du doch am besten von allen verstehst.«
War es vorstellbar, daß Gabrielle irgend jemand von den Grau-samkeiten (falls es welche gab) ihrer Ehe erzählt hatte? Sie war eine stolze Frau. Darin waren sich alle einig, die sie kannten. Sie war von ihrer Familie verstoßen worden, und sie strafte sie ihrerseits mit Verachtung, die die ganze englische Aristokratie mit einschloß. Aber der Stolz auf die eigene Herkunft ist schwer abzuschütteln – er hängt einem Menschen ewig an, auch wenn sein Glaube an dessen Berech-tigung längst erschüttert ist. Konnte man sich vorstellen, wie eine solche Frau sagte: »Er will, daß ich mit anderen Männern gehe.«
War Gabrielle in der Hoffnung nach England zurückgekehrt, ihre Heimat zurückzugewinnen, so wie Ariadne auf Dia geblieben war, um ihr Land nicht zu verlieren? Aber Knossos war ein Matriarchat, was niemand, der bei klarem Verstand war, England unterstellen konnte. Warum war Gabrielle dann nach England zurückgekehrt?
Nun, warum nicht? Es war ihr Geburtsland.
Den trüben Weltnachrichten, die sie mit Reed diskutierte, schenkte Kate nur ihre halbe Aufmerksamkeit, was ihm nicht
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