Verschwoerung der Frauen
und berichtete ihm, daß alles gut verlaufen sei und er und sein Büro das Manuskript bis zum letzten Blutstropfen verteidigen würden.
Kate sei jedoch völlig anders gewesen als erwartet. Sie habe nicht viel geredet, nervös gewirkt und sei ganz und gar nicht die Person gewesen, die er Reeds Schilderungen zufolge erwartet habe. Ihm sei sie völlig verängstigt vorgekommen.
»Sie hatte ja auch noch nie in ihrem Leben die Verantwortung für ein Originalmanuskript«, sagte Reed lachend. »Das nächste Mal, wenn Sie in New York sind, müssen Sie mit uns essen gehen und sie in Hochform erleben. Das ist einen Transatlantikflug wert, glauben Sie mir.«
»Abgemacht«, sagte der englische Anwalt.
Für den Rückflug gönnte sich Kate einen Platz in der ersten Klasse. Angeschnallt wie ein Baby auf seinem Kindersitz in alarmieren-der Nähe zu irgendeinem übergewichtigen Nachbarn zu sitzen, hatte seinen Reiz für sie verloren. Auch auf den Glücksfall, das Flugzeug könne, wie beim Hinflug, so leer sein, daß sie sich über drei Sitze ausstrecken und schlafen konnte, wagte sie nicht zu hoffen. Trotzdem entspannte sie sich, genoß den freundlichen Service und ließ sich ein Glas Champagner kredenzen, während sie auf den Start wartete.
»Auf Gabrielle«, sagte sie, das Glas in der Hand, und verwirrte damit die Stewardeß, der sie erklärte, dies sei als Trinkspruch zu verstehen und nicht als Bitte oder Kommentar. Die Stewardeß lä-
chelte, aber Kate entging nicht, wie sie dem Steward etwas zuflüsterte, der sie von nun an bediente. Offenbar bin ich für die beiden die typische übergeschnappte Reisende, dachte Kate mit unverhohlenem Vergnügen. Solange man sie in Ruhe ließ, war ihr das egal.
Noch ehe das Flugzeug sich gefüllt hatte, die Gangway eingeholt war und die Maschine auf die ihr zugedachte Startbahn rollte, hatte Kate es sich mit Gabrielles Roman bequem gemacht. In London 163
hatte sie tapfer der Versuchung widerstanden, irgendein Urteil zu fällen oder ihn sich überhaupt näher anzusehen, sondern ihre ganze Aufmerksamkeit auf die vor ihnen liegende körperliche Schwerarbeit konzentriert. Sie würde zu einem Entschluß kommen müssen, ob sie die Herausgabe übernehmen wollte oder nicht; und auch darüber, was sie Simon Pearlstine erzählen sollte, mußte sie sich klarwerden.
Begeisterung oder Entsetzen – beide Reaktionen waren vorstellbar, und Kate wollte sich ihres eigenen Standpunkts ganz sicher sein, ehe sie das Thema ihm gegenüber anschnitt.
Kate betrachtete die erste Seite von Gabrielles Manuskript:
»Heute abend kommt er, dachte sie. Noch ein Tag des Wartens«, lautete der Eröffnungssatz – der erste Satz sowohl von Emmanuels wie auch Gabrielles Roman. Aber während in Emmanuels erstem Satz Vorfreude, Begierde und unbändige Sehnsucht mitschwangen, ließ Gabrielle ihre Heldin diesen Satz mit Ironie, Furcht und Verzweiflung aussprechen. Die Ankunft des Eindringlings stand bevor.
Ariadne, wie Foxx’ Artemisia in Gabrielles Roman hieß, hatte von Dädalus den Rat erhalten, Theseus bei seiner Ankunft den Faden für das Labyrinth zu geben. Dann würde er den Minotaurus töten und nicht, so stand zu hoffen, ihre Mutter oder Schwester. Griechische Männer waren grausam: Sie vergewaltigten und triumphierten über Frauen und schwache Männer, wo sie nur konnten. Stieß er auf Widerstand, würde Theseus vielleicht ihre ganze Familie töten, die heilige Doppelaxt ergreifen und außer dem Minotaurus auch alle anderen ermorden. Ihre einzige Chance war, so zu tun, als erwarte sie ihn mit aller Sehnsucht und Freude, der ein junges Mädchen nur fähig war. Dies war die einzige Hoffnung – für sie, ihre Mutter Pasiphae, ihre Schwester Phaedra und die Priesterinnen.
»Ich dachte, das Labyrinth sei eigentlich gar kein Labyrinth, sondern eine Doppelaxt, das Wahrzeichen der Priesterinnen von Kreta«, brummelte Kate vor sich hin und zog damit einen verstohlenen Blick des Stewards auf sich, der sich in seinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt sah. Kate lachte innerlich. Ich werde allmählich sonderbar.
Das ist Gabrielles Einfluß. Ich muß sehen, daß ich wieder die alte bin, bis ich lande.
Ihre Frage war jedoch bald beantwortet: Das Labyrinth war der ganze Palast von Knossos. Genauso war er gebaut, und auch die berühmte Tanzfläche und die Arena, in der die Akrobaten ihre Kunststücke über den Hörnern von Stieren vollführten, waren Teil des Labyrinths, Teil des Palastes, der die Form einer Doppelaxt
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