Verschwörungsmelange
gleichgültig
sagen. »Das gehört zu unserem Beruf. Hör mal, ich muss jetzt Schluss machen.
Schau doch heute Nachmittag bei diesem Schautraining vorbei. Ich komme auch
hin. Da können wir über die Sache reden.«
»Ist gut, Richard. Und vergiss bitte nicht …«
»Wir sehen uns den Computer noch einmal an, keine Sorge«,
sagte Juricek und legte auf.
›Komisch‹, dachte Leopold. ›Wenn ich ihn nicht informiere,
meckert er, wenn ich ihm etwas Wichtiges sage, interessiert es ihn nicht.‹ Er
ließ sich aber seine gute Laune dadurch nicht verderben. Er folgerte daraus,
dass Juricek in dem Fall bisher nicht sehr weit gekommen war und die
Zusammenhänge einfach nicht richtig erkannte. Das konnte ihm nur recht sein.
Sein Tatendrang an diesem Morgen war außerordentlich.
Leichtfüßig brachte er eine Melange zu Frau Lind ans erste Fenster, geradezu
heiter begrüßte er seine Chefin mit einem »Schönen guten Morgen, gnädige Frau«,
als sie das Lokal durch die kleine Küche betrat, um ein erstes Mal nach dem
Rechten zu sehen.
»Sie sind ja heute nicht wiederzuerkennen«, grummelte Frau
Heller. Im Gegensatz zu Leopold befand sie sich in einer miesen Stimmung. Sie
hatte schlecht geschlafen, weil sie fortwährend davon geträumt hatte, dass ihr
Lokal von der Behörde zugesperrt worden war und sie ein großes Plakat mit dem
Hinweis ›Bis auf Weiteres aus hygienischen Gründen geschlossen‹ an der
Eingangstür anbringen hatte müssen.
»Gell, da schauen Sie. Aber das ist der Frühling, wenn er so
beim Fenster hereinblinzelt. Er macht uns einfach alle zu anderen Menschen.«
»Ja, ja!« Nervös zog Frau Heller an ihrer ersten Zigarette.
»Vielleicht hat dann auch heute wieder alles eine bessere Ordnung als an den
Tagen vorher.«
»Aber selbstverständlich«, meinte Leopold begeistert. »Und
wissen Sie was? Ich habe mir, das betreffend, meine Gedanken gemacht. Ich habe
großartige Ideen, wie man die Abläufe optimieren kann.«
»Opti… was?«, fragte Frau Heller verständnislos.
»Optimieren. Das funktioniert wunderbar, wenn wir die kommenden
Ereignisse rechtzeitig antizipieren.«
»Was soll das? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« In Frau
Hellers verschlafenem Kopf war kein Platz für so viele komplizierte Wörter.
»Keineswegs, Frau Chefin. Wie gesagt, ich habe über die Dinge
nachgedacht. Ich werde Ihnen gleich zeigen, was ich meine.« Leopold hantierte
umständlich an der Kaffeemaschine herum, dann öffnete er eine Bierflasche und
griff nach einem Glas. Schließlich sah es so aus, als ob er einen Tee
zubereiten wollte. Dazwischen bat er Frau Heller um ein Briochekipferl und
einen Gugelhupf.
Die fragte nur mehr kopfschüttelnd: »Für wen soll denn das
alles sein?«
»Der große Braune ist für Frau Sandner, das Bier für Herrn
Kommerzialrat Lorenz und der Tee für unsere zwei jungen Studentinnen, Sie wissen
schon. Sie trinken ihn immer mit Milch. Die eine kriegt das Kipferl, die andere
den Gugelhupf«, erklärte Leopold.
»Aber die sind ja noch gar nicht da.«
»Das ist ja der Trick. Optimierung unseres geschäftlichen
Ablaufs, verstehen Sie? Alle vier werden gleich kommen, weil sie jeden Tag um
diese Zeit kommen. Ihre Bestellungen haben wir aber bereits fix und fertig
hergerichtet, sie brauchen nur mehr an ihren Platz gebracht zu werden. Das
bringt jede Menge Zeitersparnis. Durch Antizipation.«
»Es könnte sein, dass sie später kommen. Viel später. Oder
gleich gar nicht«, blieb Frau Heller skeptisch.
»Unsere Stammgäste finden sich immer pünktlich ein, Frau
Chefin. Da gibt es keine Unregelmäßigkeiten«, beharrte Leopold. »Da ändert sich
nichts über Tage, Wochen und Jahre. Und wenn einer unserer täglichen Besucher
wirklich einmal ausfallen sollte, dann hat das einen schwerwiegenden Grund. Da
muss er schon mindestens 39 Grad Fieber haben oder auf dem Operationstisch
liegen.«
»Sie spinnen, Leopold.«
»Nein, ich antizipiere. Warum wir da nicht schon früher
draufgekommen sind. Stellen Sie sich einmal vor, welche Vereinfachungen das mit
sich bringt. Man muss nicht mehr warten, bis die Leute etwas bestellen, man
kann gleich alles in der geeigneten Art vorbereiten. Das ist ja auch das
Geheimnis der modernen Marktwirtschaft. Da wird nicht mehr auf einen Auftrag
gewartet wie im Mittelalter, sondern das fertige Produkt ist zur Stelle, wenn
der Kunde es wünscht.«
Wie zur Bestätigung von Leopolds Theorie kam Frau Sandner zur
Tür herein.
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