Verseucht - Endzeit-Thriller (German Edition)
hatten sich zusammengetan – wie Besucher eines Open-Air-Festivals, die auf den Auftritt der ersten Band warten. Aber auf wen oder was warteten diese Leute?
»Ich finde, wir sollten machen, dass wir wegkommen«, meinte Mickey. Also zogen wir weiter.
8
Während wir die leeren, mit Blättern übersäten Straßen von Bitter Creek entlanggingen, war mir bewusst, dass wir nicht allein waren. Wir wurden beobachtet, aber nicht vom Schattengebilde, auch wenn ich spürte, dass mein »zweites Ich« nicht weit entfernt war. Es war seltsam, aber es kam mir so vor, als streckte es seine Hand aus dem Dunkel nach mir aus. Dabei hatte ich noch mindestens eine Woche Zeit, bis ich das nächste Opfer auswählen musste. Seine Präsenz musste damit zu tun haben, dass wir uns jetzt dort befanden, wo es uns hatte haben wollen: in Bitter Creek.
Doch im Moment hatten wir andere Beobachter – vielleicht weitere Seuchenkranke, wie die im Park. Schon in fünf oder sechs anderen kleinen Gemeinden waren wir auf Sterbende gestoßen, die auf irgendetwas gewartet hatten. Aber mein Gefühl sagte mir, dass diesmal etwas anderes dahintersteckte, von dem ich nur hoffen konnte, dass es menschlichen Ursprungs war.
»Wann erzählst du uns endlich, warum wir hier sind?«, fragte mich Janie. »Wann wirst du deinen Getreuen den großen Plan enthüllen?«
Ich überging ihren Sarkasmus. »Wenn er mir enthüllt wird, genau dann.«
Die Spannung zwischen Janie und mir war mittlerweile schier unerträglich. Allen im Trupp war sie bewusst, aber niemand redete darüber. Auch ohne diese verdammte Beziehungskiste hatten wir schon genügend Scheiße am Hals.
Mickey nutzte die Gelegenheit dazu, zu mir aufzurücken, und sorgte dafür, dass sie mich beim Weitergehen mit ihren bloßen Armen und Beinen berührte. Haut an Haut – sie wusste, welche magische Wirkung das auf mich hatte.
Ich schluckte und blieb an der Straßenecke stehen. Wo verbarg sich das, was uns erwartete? Wann würden wir erfahren, wieso wir hier waren? Mir war so, als streckten sich Krallen nach mir aus und führen an meiner Wirbelsäule entlang. Unwillkürlich zog sich mein Magen zusammen und ich fühlte mich wie mit Elektrizität aufgeladen. Wo steckte dieses Unbekannte? Wann würde es sich zeigen?
Ich streckte meine inneren Fühler zu der Gehirnregion aus, die ich stets mit den Einflüsterungen des Schattengebildes in Verbindung brachte, aber es tat sich nichts. Das Schattengebilde war zwar in der Nähe, aber derzeit offline.
»Und was jetzt, Nash?«, fragte Janie. »Bleiben wir hier so lange stehen, bis sich Mickey genügend an deinem Bein gerieben hat, oder kommen wir demnächst mal irgendwo an?«
»Fick dich doch selbst ins Knie«, fuhr Mickey sie an.
»Zu dir passt das besser«, gab Janie zurück.
Ich ging weiter.
Die Hauptstraße mündete in einen Marktplatz: Geschäfte mit Ziegelsteinfassaden und eingestaubten Schaufenstern, jenseits davon einfache Holzhäuser. Die Rasen davor waren alle gelblich verfärbt und von Unkraut überwuchert, die Straßen mit Schichten feuchter Blätter gepflastert. Ein Handyladen, ein Videogeschäft, eine Kegelbahn, ein Café: Es hätte irgendeine Kleinstadt in Nordamerika sein können – kannte man eine, kannte man alle. Vom Marktplatz gingen alle anderen Straßen wie Fahrradspeichen ab. Das wohlbekannte trostlose Bild, der wohlbekannte Gestank von Tod in der Luft: Es roch nach Alter, Verfall und Erinnerungen, die nur noch um sich selbst kreisten. Eine Bibliothek, in der die Bücher vor sich hin moderten – nur waren es in diesem Fall nicht nur Bücher.
Und wieder diese weißen Kreuze. Offenbar waren alle Fenster der Geschäfte und Privathäuser damit gekennzeichnet. »Was hältst du davon?«, fragte ich Texas.
Er zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Meiner Meinung nach kann das Kreuz nur einem von zwei Zwecken dienen: Entweder ruft es irgendjemanden herbei oder es soll irgendjemanden abschrecken und fernhalten.«
Ich fragte mich, was Specs mit seinem Hang zum Esoterischen dazu gesagt hätte.
Während wir weitergingen und die giftige Atmosphäre dieses Ortes auf uns wirken ließen, behielt Janie mich ständig im Auge. Ich tat so, als merkte ich es nicht. Aber als ich irgendwann doch zu ihr hinüberblickte, sah ich ein seltsames Funkeln in ihren Augen. War es Hass? Wut? Nein, eher kam es mir wie tiefe Enttäuschung vor, doch es ging darüber hinaus. Jedenfalls brütete sie irgendetwas aus, das sie mir bei passender Gelegenheit um die Ohren hauen
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