Verstoßen: Thriller (German Edition)
auch sein sollen. Heulend stand ich bei diesem sterbenden Pferd, während der verzweifelte Besitzer sich an meine Schultern klammerte. Und mir wurde klar, dass ich total auf die schiefe Bahn geraten war. Dass ich viel zu weit gegangen war.«
»Das wurde dir dann erst klar«, sagte Maier.
»Ja. Erst dann.«
Sven schob seinen Becher auf dem Tisch hin und her.
Maier musste noch einmal an das unterirdische Labor in St. Maure denken. Die kleinen Gläser, die dort herumgestanden hatten, hatte Sven genauso hin und her geschoben. Das waren also die Grundstoffe für ein illegales Dopingmittel gewesen. Oder sogar die Endprodukte. Jedenfalls Substanzen, die Sven
verdammt gut kannte. Trotzdem hatte er auf Maiers Frage, ob er damit etwas anzufangen wisse, ausweichend geantwortet. Der zusätzliche Stress und Druck dieses Moments fanden in seinem sowieso schon überspannten Geist einen Ausweg in stereotypen Bewegungen, wie bei einem Autisten.
Maier starrte auf den Kaffeebecher und die zitternden Finger, die ihn umklammerten.
»Aber die anderen waren nicht begeistert davon, dass du aussteigen wolltest«, sagte er.
»Nein«, sagte Sven überrascht und hielt auf einen Schlag die Hände still. »Vor einem Monat war ich zum letzten Mal in Paris. Ich habe Alain die Proben gegeben und ihm gesagt, dass ich nicht mehr wollte. Dass das böse enden würde. Dass er ebenfalls damit aufhören musste. Aber er ist total ausgerastet, und erst in dem Moment wurde mir klar, wie tief er selbst in der Sache drinsteckte. Der Typ, der ihm finanziell ausgeholfen hatte, wollte sein investiertes Kapitel doppelt und dreifach zurück.«
»Wer war das?«
»Keine Ahnung. Wirklich nicht. Er wollte es mir nie erzählen, verständlicherweise. Als ich zum letzten Mal dort war und Alain gegen mich loswetterte, musste ich plötzlich an Valerie denken, die mich verlassen hatte, und an Thomas, der mir vorenthalten wurde. Und plötzlich sah ich, was für eine armselige Figur ich abgab – ein Tierarzt, der seine Seele an den Teufel verkauft hatte. Ich musste dringend mit mir selbst ins Reine kommen. Wie sollte ich sonst meinen Kunden noch unter die Augen treten? Oder später meinem eigenen Sohn? Der Gedanke hat bei mir das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich hab ihm gesagt, für mich ist jetzt Schluss, und ich würde sie anzeigen. Ich bin kein Verräter, Sil, das kannst du mir glauben. Aber ich wollte reinen Tisch machen.«
»Und?«
»Noch am selben Abend bekam ich in der Praxis einen Anruf.
Jemand, den ich nicht kannte, sagte in gebrochenem Französisch, wenn ich nicht den Mund hielte, würde meinem Sohn etwas zustoßen. Und dass ich den Pferden weiter dieses Zeug geben sollte. Sie wollten Prozentzahlen wissen. Sie wollten allen Ernstes herausbekommen, wie viele Pferde draufgehen und wie viele das Zeug überleben würden … Und ich war blöd genug, dem Typen zu sagen, dass er sich zum Teufel scheren soll. Dass ich sie zwar nicht anzeigen würde, weil mich das meine Praxis kosten würde, aber dass ich bestimmt nicht weiter Pferde abmurksen würde. Dass sie sich das Zeug in den Arsch stecken sollten und dass ich nicht mehr nach Paris kommen würde, um es abzuholen. Und den Monat drauf bin ich tatsächlich nicht hingefahren. Später haben sie noch mal angerufen und wollten mich warnen, aber ich habe einfach den Hörer aufgeknallt. Drei Wochen danach ist dann Thomas entführt worden. «
»Wie hast du davon erfahren?«
»Am Telefon, wieder von demselben Typen. Ich bin sofort ins Auto gesprungen und nach Tilburg gerast. Valerie hockte noch ganz apathisch vor der Wohnungstür. Zu Walter hatte sie noch keinen Kontakt aufgenommen, sie war total neben der Spur.«
Sven sah zu Maier auf. Ein Moment der Verbindung zwischen ihnen, wie unlängst in St. Maure, in der Küche. Dann war der Moment verflogen.
»Willst du nicht hören, warum ich dich angelogen habe?«
Maier schüttelte den Kopf. »Nein, ich kann’s mir ungefähr denken.«
Er war sich ziemlich sicher, wo der Hund begraben lag. Er konnte es Sven nicht verübeln. In seine finanziellen Probleme, die er anscheinend jahrelang mit sich herumgeschleppt hatte, hatte der Tierarzt nicht mal seine eigene Frau eingeweiht. In diesem Fall war die Scham noch viel schlimmer. Sven war
tief gesunken und sich dessen mittlerweile auch selbst bewusst. Hinzu kam, dass er kaum hatte einschätzen können, inwieweit er Maier vertrauen konnte. Sven hatte Maier zwar einmal an einer Schusswunde operiert, wusste aber bis heute nicht,
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