Verteidigung
Krayoxx-Verfahrens sah. In einigen der Artikel, die Wally von Lyle Marino bekommen hatte, spekulierten Anwälte darauf, dass jede widerrechtliche Tötung in Zusammenhang mit Krayoxx zwei bis vier Millionen Dollar wert sein konnte. Davon würden die Anwälte vierzig Prozent bekommen. Finley & Figg würde das Honorar natürlich teilen müssen, mit Zell & Potter oder einer anderen auf Sammelklagen spezialisierten Kanzlei, die bei dem Verfahren die Federführung übernahm. Doch selbst wenn sie nicht das ganze Honorar bekamen, war das Medikament eine Goldgrube. Jetzt musste er nur noch ein paar Fälle finden. Während sich Wally durch Chicago fahren ließ, war er fest davon überzeugt, dass er von einer Million Anwälten in der Stadt im Moment der einzige war, der so schlau war, die Straßen nach Opfern von Krayoxx abzusuchen.
Einem anderen Artikel zufolge sei gerade erst entdeckt worden, wie gefährlich das Medikament war. Ein weiterer zitierte einen Prozessanwalt, der sagte, in medizinischen Kreisen und in der Öffentlichkeit wisse man noch gar nicht, was für ein »Fiasko« Krayoxx sei. Doch Wally wusste es, und deshalb war es ihm egal, wie viel Geld er für ein Taxi ausgab.
»Ich hatte Sie doch gefragt, was es mit den Beerdigungsinstituten auf sich hat«, versuchte es Bowie noch einmal. Er wollte es unbedingt wissen und ließ sich nicht ignorieren.
»Es ist eins«, verkündete Wally. »Haben Sie schon zu Mittag gegessen?«
»Ich fahre Sie seit zwei Stunden in der Gegend herum. Haben Sie mich was essen sehen?«
»Ich habe Hunger. Da vorne rechts ist ein Taco Bell. Wir nehmen den Drive-in.«
»Sie zahlen, ja?«
»Ja.«
»Ich liebe Taco Bell.«
Bowie bestellte gefüllte Tortillas für sich und einen großen Burrito für seinen Fahrgast. Während sie in der Schlange warteten, sagte Bowie: »Wissen Sie, was ich mich die ganze Zeit frage? ›Was macht dieser Typ in den Beerdigungsinstituten?‹ Es geht mich natürlich nichts an, aber ich fahre jetzt seit achtzehn Jahren Taxi und hatte noch nie einen Fahrgast, der sämtliche Beerdigungsinstitute Chicagos abklappert. Ich hatte noch nie einen Fahrgast mit so vielen Freunden. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Mit einem haben Sie völlig recht«, sagte Wally, der immer noch mit Lyles Unterlagen beschäftigt war. »Es geht Sie nichts an.«
»Wow. Jetzt haben Sie’s mir aber gegeben. Und ich dachte, Sie wären nett.«
»Ich bin Anwalt.«
»Das wird ja immer schlimmer. War nur ein Scherz. Mein Onkel ist Anwalt. Und ein Idiot.«
Wally gab ihm einen Zwanzigdollarschein. Bowie nahm die Tüte mit ihrer Bestellung und verteilte das Essen. Als sie wieder auf der Straße waren, stopfte er sich eine Tortilla in den Mund und hörte auf zu reden.
6
Rochelle las gerade einen Liebesroman, als sie Schritte auf der Veranda hörte. Schnell steckte sie das Taschenbuch in eine Schublade und legte die Finger auf die Tastatur, damit der Eindruck entstand, sie wäre fleißig bei der Arbeit, als die Tür aufging. Ein Mann und eine Frau traten zögernd ein und sahen sich nervös, fast ängstlich um. Das war nichts Ungewöhnliches. Rochelle hatte Tausende Mandanten kommen und gehen sehen, und fast alle betraten die Kanzlei mit einem unruhigen, misstrauischen Gesichtsausdruck. Eine Überraschung war das nicht. Wenn sie keine Probleme hätten, wären sie nicht hergekommen, und für die meisten war es der erste Besuch in einer Rechtsanwaltskanzlei.
»Guten Tag«, sagte sie freundlich.
»Wir brauchen einen Anwalt«, sagte der Mann.
»Einen Scheidungsanwalt«, korrigierte die Frau.
Rochelle war sofort klar, dass sie ihn ständig korrigierte und dass er das vermutlich gründlich satthatte. Allerdings waren die beiden schon in den Sechzigern und damit etwas zu alt für eine Scheidung. Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Setzen Sie sich doch.« Sie wies auf zwei Stühle in der Nähe. »Ich brauche erst einmal einige Angaben von Ihnen.«
»Können wir ohne Termin mit einem Anwalt sprechen?«, fragte der Mann.
»Ich glaube schon.«
Die beiden gingen zu den Stühlen hinüber und setzten sich und schafften es tatsächlich, die Stühle ein Stück auseinanderzurücken. Das könnte gefährlich werden, dachte Rochelle. Sie zog einen Fragebogen aus der Schublade und suchte sich einen Stift. »Ihre Namen, bitte. Vor- und Zuname.«
»Calvin A. Flander«, kam er seiner Frau zuvor.
»Barbara Marie Scarbro Flander«, sagte sie. »Scarbro ist mein Mädchenname, und vielleicht werde ich ihn wieder
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