Vertraute der Sehnsucht (German Edition)
heraus, so geschockt war er, aber in Raphaels Miene breitete sich langsam ein Grinsen aus, in dem keinerlei Reue zu entdecken war. »Mit wem zum Teufel treibst du dich eigentlich herum, dass du überhaupt so etwas zu hören bekommst?«
»Du hast deine kleinen Geheimnisse«, sagte Carys mit einem Lächeln und einer tadelnd in die Höhe gezogenen Augenbraue, »und ich habe meine. Einigen wir uns einfach darauf, dass wir die Sache ruhen lassen, einverstanden?«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihrem Bruder ein Küsschen auf die Wange. Dann verabschiedete sie sich mit einem Winken von Nathan und den anderen, drehte sich auf ihren hohen Absätzen herum und stolzierte den Korridor entlang.
Nach der kurzen Unterbrechung gingen seine Kriegsbrüder weiter zum Trainingsraum, doch Nathans Instinkte waren geweckt. Mit einem vagen, aber nicht zu leugnenden Verdacht wandte er sich noch einmal um und schaute der Frau neugierig nach, die in dem langen Korridor davonschritt. Im selben Moment drehte sich auch Carys Chase um und warf vorsichtig einen schnellen Blick über ihre Schulter. Ihre Blicke trafen sich, und Carys ging schneller, bis sie um die Ecke verschwand.
9
Mira erwachte aus einem erschöpften Schlaf, der sie kaum erfrischt hatte. Um sie herum war der warme, würzige Geruch von Kellan. Im ersten Moment dachte sie, der Geruch wäre ein Überbleibsel aus ihren Träumen – dunkle, verführerische Träume, in denen er nicht ihr Feind war, sondern ihr Lover, den sie so gerne wieder berührt hätte, der einzige Mann, den sie jemals begehrt hatte.
Aber was sie jetzt um sich herum wahrnahm, stammte nicht aus ihrem Traum. Es war die Wirklichkeit. Kellans Bett war kalt und einsam, sie war allein, eingesperrt in sein Quartier in dem Rebellenlager, das er kommandierte.
Mira richtete sich auf und strich sich die wirren Locken aus den Augen. Es war still im Zimmer. Er war nicht mehr zurückgekehrt, seit er sie am Abend verlassen hatte. Die Decke, die er für sich auf den Boden gelegt hatte, war immer noch genau da, wo er sie hingeworfen hatte. Das provisorische Notlager war nicht berührt worden.
Wo war er? Er war nicht in sein Quartier gekommen, aber wo hatte er stattdessen die Nacht verbracht?
Vielleicht bei einer der hübschen Menschenfrauen unter seinem Kommando. Bei Candice vielleicht, mit ihrem freundlichen Lächeln und den fürsorglichen, erfahrenen Händen. Oder mit der blauhaarigen Elfe, Nina, mit ihren traurigen Augen und ihrem koboldhaften Gesichtchen. Eifersucht durchzuckte Mira wie ein brennender Schmerz, ebenso unerwünscht wie bitter.
Sie brauchte sich keine Gedanken darüber zu machen, mit wem Kellan am liebsten seine Nächte verbrachte. Sie musste sich nicht um ihn sorgen, denn er gehörte ihr nicht. Er würde ihr nie wieder gehören.
Und vielleicht hatte er nie wirklich zu ihr gehört, wenn es ihm so leichtgefallen war, sie zurückzulassen.
Ihr Herz wehrte sich gegen die kalte Logik, aber sie versuchte immer noch zu begreifen, dass Kellan die ganze Zeit über am Leben gewesen war – dass er ganz in der Nähe von Boston lebte und dieses gesetzlose Leben führte, in dem er sich selbst als Rebellenführer neu erfunden hatte. Er hatte nie versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Ihm konnte nicht viel an ihr gelegen sein, sonst hätte er ihr die Trauer um ihn erspart und ihr mitgeteilt, dass er in Sicherheit war – auch wenn die Nachricht, dass er zu den Rebellen gegangen war, ihr damals sicher sehr wehgetan hätte. Aber er war einfach davongelaufen und hatte sich nicht einmal umgedreht.
Der Schmerz in ihrer Brust wurde noch stärker, aber daran würde sie nicht zerbrechen. Das schwor sie sich.
Und sie würde sich verflucht noch mal keine Gedanken mehr darum machen, mit wem Kellan – Bowman, sollte sie sagen – ins Bett ging, solange es nicht sie war, mit der er schlafen wollte.
Mira schwang ihre nackten Beine über den Rand der Matratze und schenkte sich ein Glas Wasser aus dem Krug ein, den Candice auf den Nachttisch gestellt hatte. Ihre Kontaktlinsen lagen in einem kleinen Behälter mit Kochsalzlösung, den ihr ebenfalls die hübsche, schwarzhaarige Frau gegeben hatte. Mira setzte sie ein, dann trank sie das Wasser. Sie war dankbar für die beiden Gesten der Freundlichkeit, die ihr Kellans Kameradin entgegengebracht hatte.
In dem Zimmer herrschte eine feuchte Kühle, und Mira rieb sich fröstelnd die Arme, als sie ihre Füße auf den Boden stellte. Sie hatte nur ihren Slip und das
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