Vertraute Schatten
Schultern. Sam, das war ihr inzwischen klar, verfügte über Fähigkeiten, die weit über alles hinausgingen, was sie jemals vermutet hatte. Sie hatte ihn nur ungern ziehen lassen. Denn sie konnten beide nicht abschätzen, was ihn bei der Heimkehr erwartete.
Er hatte sich nicht nach Damien erkundigt. Offenbar hatte es ihm gereicht, dass der Shade nicht mehr da war. Ariane hatte ihr Mal bedeckt gehalten und nichts gesagt. Trotz des Bands zwischen ihnen kannte sie Sams Grenzen, was das Wahrnehmen und Verstehen von Gefühlen anging, sehr genau. Und diese Gefühle für Damien würde er garantiert nicht verstehen.
»Und, wie geht es Damien?«, hakte Vlad nach und schloss die Tür hinter ihr. »Ich hatte fast erwartet, dass Sie ihn mitbringen.«
Ariane sah ihn an, sah das Mitgefühl in seinen Augen, und sofort war ihr klar, dass er Bescheid wusste. Ohne dass sie ein Wort gesagt hätte, hatte er begriffen, dass Damien sie verlassen hatte. Vermutlich hatte er damit sogar gerechnet. Niemand schien darüber überrascht zu sein – außer ihr.
Sie hatte sich mehr von Damien erhofft. Und sie war bitter enttäuscht worden.
»Er … er hat einen Auftrag bekommen. Irgendwo. Ich weiß es nicht genau. Es ging alles so schnell.«
»Oh, verstehe. Das ist mal wieder typisch.« Vlad neigte ein wenig den Kopf und sah sie mit diesem Blick an, dem nichts entging. »Alles in Ordnung mit Ihnen, Ariane?«
»Ich … ja. Nein. Ich weiß es nicht.«
Auf einmal brach die ganze traurige Geschichte aus ihr heraus. Ob es an ihrer Müdigkeit lag oder daran, dass in den letzten Tagen einfach zu viel auf einmal auf sie eingestürmt war, hätte sie nicht sagen können – jedenfalls konnte sie plötzlich gar nicht mehr aufhören zu reden. Als sie am Ende ihres atemlosen Berichts nach Luft schnappte, wurde ihr erst bewusst, was sie getan hatte: Sie hatte dem Anführer einer der mächtigsten Vampirdynastien gerade mitten in seiner feudalen Eingangshalle ihre sämtlichen Probleme um die Ohren gehauen. Sofort fühlte sie sich noch mieser. Doch eins musste man Vlad lassen: Er ergriff nicht die Flucht.
»Oh«, sagte er. »So. Ihr zwei … habt euch gegenseitig gebissen.«
»Ja.«
»Und dann hat Drake angerufen, und ihr habt euch gestritten.«
»Ja.«
»Und dann hat er Ihnen gesagt, dass er Sie nicht lieben kann, Ihnen aber gern ein Haus kaufen würde.«
»So in etwa.«
Vlad rieb sich den Nacken. Er schien sich nicht ganz wohl in seiner Haut zu fühlen. »Auf dem Gebiet kenne ich mich nicht so aus, aber Sie haben natürlich mein volles Mitgefühl. Er ist ein schwieriger Typ, Ariane.«
Sie spürte, wie ihr schon wieder Tränen in die Augen schossen. »Ich weiß«, sagte sie und seufzte.
Vlad legte ihr den Arm um die Schultern, und das, obwohl ihm körperliche Zuwendung in seinem selbstgenügsamen Leben eher fremd war. »Jetzt bringe ich Sie erst mal nach oben. Morgen Nacht gibt es eine Menge zu tun, und im Moment ist das Wichtigste, dass Sie sich ausruhen.« Er lenkte sie rasch die Treppe hinauf zu einem tadellos aufgeräumten Zimmer, in dem glücklicherweise nichts von Damiens Sachen lag. Sie würde sich sofort angezogen auf das Bett fallen lassen und in Tiefschlaf versinken.
Als Vlad ihr einen guten Tag wünschte, drehte sie sich noch einmal um. Sie war ihm unendlich dankbar, einfach für seine bloße Existenz.
»Danke«, sagte sie. Vlads Lächeln war voller Zuneigung.
»Gern geschehen, Ariane. Es tut mir leid. Damien hat viele gute Eigenschaften, auch wenn er das immer abstreitet. Jedenfalls spricht es sehr für Sie, dass Sie sie sehen konnten. Ich könnte mir vorstellen, dass er noch zur Vernunft kommt, aber es wird ihm nicht leichtfallen.«
Ihre Schultern sackten nach unten. »Ich weiß nicht. Wirklich. Aber ich konnte nicht bleiben … auch wenn das alles nach der morgigen Nacht vielleicht keine Rolle mehr spielt.«
»Unsinn. Ich habe mit Mormo gesprochen und sogar ein paar Worte mit Arsinöe gewechselt. Allerdings kann man sich bei ihr nie sicher sein, ob sie sich nicht doch auf Sariels Seite schlägt, aus reinem Widerspruchsgeist. Aber ich glaube es nicht.«
Ariane seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nur, dass er einfach zu stark ist. Der Versuch, ihm die Rolle des Anführers über die Grigori abzusprechen, wird schlimm enden. Und was dann passiert, haben auch Sie nicht mehr im Griff.«
Er schüttelte den Kopf und lächelte sie erschöpft an. »Ariane, egal wie viel Sariel kann, er ist auch nur ein Vampir. Er kann
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