Verwesung
seufzte. «Hast du eine Decke oder so?»
Als ich die Eule vorsichtig mit einem alten Handtuch hochnahm, flatterte sie ein bisschen mit den Flügeln, gab sich aber schnell geschlagen. Sophie schlug vor, sie in den Turm zu bringen und einfach die Tür aufzulassen, damit sie hinausfliegen konnte, sobald sie sich erholt hatte.
«Und was ist mit deinen Töpferwaren?», fragte ich.
«Die sind versichert. Außerdem ist es eine Eule. Die kann im Dunkeln sehen.»
Die Eule war überraschend leicht, als ich sie in den Turm trug, und ich konnte ihren rasenden Herzschlag spüren. Innen war es feucht und roch muffig nach alten Ziegeln, meine Schritte hallten. Ich setzte die Eule auf dem Boden ab und nahm das Handtuch weg. Wir hatten das Licht nicht angemacht, aber ihr Gefieder war so hell, dass sie in der Finsternis fast leuchtete.
«Glaubst du, dass sie sich wieder erholt?», fragte Sophie, als wir ins Haus zurückgingen.
«Heute können wir nicht mehr für sie tun. Wenn sie morgen noch da ist, rufen wir einen Tierarzt.»
Ich verschloss und verriegelte die Haustür und zog zur Sicherheit noch einmal an ihr. Sophie zitterte und rieb sich die Arme. «Gott, ich bin ganz durchgefroren.»
Wieder stand sie direkt vor mir. Und schaute mich an. Es wäre völlig natürlich gewesen, sie in den Arm zu nehmen.
«Es ist schon spät», sagte ich. «Geh schlafen, ich kümmere mich hier unten um alles.»
Sie blinzelte und nickte dann. «Okay. Also … gute Nacht.»
Ich wartete, bis sie oben war, ging dann durch die Zimmer und schaltete wütend das Licht aus, während ich mir einredete, dass ich richtig gehandelt hatte. Sophie war verängstigt und verletzlich, und die Situation war schon kompliziert genug.
Aber ich war mir nicht sicher, ob ich wütend war über das, was beinahe passiert wäre, oder darüber, dass ich es verhindert hatte.
Danach lag ich in dem schmalen Bett wach, lauschte der nächtlichen Stille des Hauses und dachte an Sophie. Als ich schließlich einschlief, schreckte mich gleich wieder ein Geräusch von draußen auf, der schrille Schrei eines Raubtieres oder einer Beute. Doch dann war nichts mehr zu hören, und als ich wieder einschlief, vergaß ich alles.
Kapitel 17
Am nächsten Morgen wachte ich früh auf und trottete in der kühlen Stille des Hauses nach unten. Sophie schlief noch. Ich machte mir eine Tasse Tee und dachte über den gestrigen Tag nach. Normalerweise hätte ich das Radio eingeschaltet, um Nachrichten zu hören, oder wäre ins Internet gegangen. Aber ich wollte Sophie nicht stören, und im Haus gab es keine WLA N-Verbindung . So nippte ich an meinem heißen Tee und schaute zu, wie es draußen langsam heller wurde.
Das morgendliche Gezwitscher der Vögel erinnerte mich an die Eule. Ich zog Jacke und Stiefel an und ging hinaus. Der Nebel hatte sich verzogen, aber es war dunstig und nieselte. Auf den Zweigen der Apfelbäume und in den Spinnennetzen hingen Tropfen, und das Gras war nass.
Die Eule hatte einen schmierigen Fleck am Wohnzimmerfenster hinterlassen, auf dem Boden des Brennofens lagen aber nur noch ein paar feine, helle Federn. Hoffentlich hatte sich das Tier erholt und seine Zuflucht freiwillig verlassen. In der Gegend lebten eine Menge Füchse. Da die Tür offen gestanden hatte, könnte der verletzte Raubvogel leicht zur Beute geworden sein.
Ich spazierte um den Brennofen herum. Das Gerüst und die Stützwerke standen schon so lange vor den Mauern, dasssie mittlerweile mit dem Turm verwachsen zu sein schienen. Manche Stellen waren anscheinend vor einer Ewigkeit neu verputzt worden, doch zum größten Teil war das Gemäuer brüchig. Der lockere Ziegel, hinter dem Sophie ihren Schlüssel versteckte, war vermutlich nur einer von vielen. Den Ofen zu restaurieren, geschweige denn, ihn wieder zum Laufen zu bringen, wie sie hoffte, würde aufwendig und teuer werden.
Sie würde eine Menge Keramik verkaufen müssen. Aber ganz offensichtlich war sie talentiert. Die Schalen und Vasen in den Regalen waren durchweg schlicht, aber eindrucksvoll. Ich fuhr mit einer Hand über den harten Tonklumpen auf der Werkbank, der beinahe wie ein abstraktes Kunstwerk wirkte, gab ihm einen Klaps und ging zurück ins Haus.
Sophie war noch nicht auf, was gut war, denn sie brauchte Ruhe. Ich war hungrig und überlegte, ob ich Frühstück machen sollte, beschloss dann aber, auf sie zu warten. Ich war nur ein Gast und wusste nicht genau, wie sie es finden würde, wenn ich mich benahm, als wäre ich zu
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