Verwüstung - Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges
Königin jedoch harsche Äußerungen von sich, dass die Privilegien des Adels in der Tat begrenzt werden sollten, dass der eine Stand den anderen nicht unterdrücken dürfe, dass sie mehrere Forderungen der Nichtadligen unterstütze. Dies hatte eine elektrisierende Wirkung. In dieser Zeit war der Monarch eine unantastbare Größe in der Mitte des Reiches, der sich alle verschworen und die zu verwerfen niemand auch nur geträumt hätte – ungefähr so, wie sich heutzutage alle selbstverständlich der Demokratie verschwören. Mehr oder weniger verzerrte Versionen der Rede Christinas kamen rasch in Umlauf, und bald waren die Nichtadligen felsenfest davon überzeugt, die Königin hinter sich zu haben, und wer könnte ihnen dann noch widerstehen? Alles Zweifeln in den Reihen der Geistlichkeit angesichts der radikalen Politik war damit beschwichtigt, und sie reihte sich brav ins Glied ein. Mehrere Nichtadlige begannen, mit siegesgewisser Selbstsicherheit aufzutreten; ein Bürger hielt einen lautstarken Einzug ins Haus der Ritterschaft, der so fern aller herkömmlichen Etikette war, dass die Adligen rote Köpfe bekamen und nach «Satisfaktion» riefen.
Anfang August machten sich die nichtadligen Stände auf Anregung Christinas an eine Überprüfung der Privilegien des Adels, unter anderem zu dem Zweck, den Übergriffen ein Ende zu bereiten, denen die Bauern ihrer Ansicht nach ausgesetzt waren. Der Prozess war umständlich und brachte viele lange Debatten mit sich – manche Teilnehmer fanden dies ein wenig anstrengend und schliefen auch während der Sitzungen oder traten betrunken auf; die Geistlichkeit musste eine Buße von einem halben Reichstaler einführen für alle, die schwänzten, und ermahnte etwas kryptisch die Mitglieder ihres Standes, «mit Fleiß zu bedenken, welcher Zustand herrsche». Als der Bischof von Linköping vor dem versammelten Adel über «die livländische Knechtschaft und Tyrannei mit Hieben und Schlägen, mit endlosen Tagewerken» sprach, wie sie die Bauern gewisser Edelleute zu ertragen hätten, begann sein blaublütiges Auditorium zu rufen und zu schreien, dass er diese Plagegeister nennen solle – «Namen, Namen» –, ohne jedoch eine genaue Antwort zu erhalten. (Einer der wenigen, auf die später, wenn auch mit zitterndem Finger, wirklich gezeigt wurde, war der Feldmarschall Lennart Torstensson.) Aber der Adel wurde immer bleicher und geriet unter Druck, hart bedrängt von einer geschlossenen Front von Nichtadligen, in der die Bürger, allen voran Stockholms Bürgermeister Nils Nilsson Silenius und der Stadtschreiber Nils Pedersson Skunck, überraschend die Führungsrolle übernommen hatten. Auch wenn das schwedische Bürgertum noch immer schwach war, war es doch zahlenmäßig und an Wohlstand und Kenntnissen gewachsen, teilweise aufgrund des Unfriedens der letzten Jahrzehnte. Und es hatte jetzt sowohl die erforderliche Kraft als auch das nötige Selbstvertrauen, um den dünkelhaften Adel herauszufordern.
Dass sich die Geistlichkeit, einschließlich der ansonsten so konservativen Bischöfe, der gegen den Adel gerichteten Kritik angeschlossen hatte, war auch von großer Bedeutung. Die Geistlichen waren ansonsten das wichtigste Instrument der Herrschenden, wenn sie das einfache Volk und seine Ansichten manipulieren wollten. Das Öl, das sie sonst auf die Wogen der Erregung zu gießen pflegten, schütteten sie jetzt ins Feuer. Im ganzen Land wurden jetzt Salven antiadliger Rhetorik von den Kanzeln abgefeuert. Anfang August hielt der Pastor Kristoffer Siggonis eine Predigt, in der er unter anderem feststellte, der Adel unterdrücke die anderen Stände. Ein Pastor in Värnamo wetterte darüber,
daß der Adel seine Pferde und Hunde mästet und den Armen verhungern läßt, und die Hunde nichts anderes tun, als auf der Bank zu liegen und sie anzufurzen.
(Die Kritik war unter anderem auf Magnus Gabriel De la Gardie gemünzt, der bekanntermaßen zahlreiche Doggen hatte.) Ein anderer Pastor im gleichen Sprengel sprach unter Hinweis auf ein Vorkommnis, in das Adlige verwickelt gewesen waren, empört davon, dass Mord und andere Sünden nicht mehr bestraft würden. Im August 1650 war die Lage zum Bersten gespannt, nicht zuletzt weil Berichte vom Reichstag – häufig in Form von Briefen, die von Geistlichen verfasst waren – die Menschen auf dem Land und in den Städten anspornten und sie veranlassten, immer drohender gegenüber ihren Herren aufzutreten, während gleichzeitig die Nachrichten von der
Weitere Kostenlose Bücher