Verzaubert!
fortgeführt wurde, offenbarte der Bär ihr, dass das Schloss verzaubert sei und ihr, solange sie sich hier aufhielt, all ihre geheimsten Wünsche erfüllt würden. Er überreichte ihr ein kleines goldenes Glöckchen.
Wann immer sie einen Wunsch verspürte, der nicht sogleich erfüllt wurde, sollte sie mit dem Glöckchen klingeln und dabei an den Wunsch denken. Er versprach ihr, dass dieser Wunsch sofort erfüllt würde. Mit einer höflichen Verbeugung verabschiedete sich der Bär von dem Mädchen und ließ sie mit der alten Dienerin allein.
Die Dienerin ging munter plappernd voraus und geleitete das Mädchen zu ihrem Schlafzimmer. Sie konnte kaum sagen, was die Dienerin ihr erzählte, denn sie war mit den Gedanken ganz woanders. Aber das gesellige Verhalten der alten Frau beruhigte sie.
Als sie das Schlafzimmer betrat, fiel ihr als Erstes das Bett auf. Es war aus Mahagoniholz gezimmert und mit zarten Schnitzereien verziert. Die Matratze und die Kissen und Decken waren mit Seide bezogen. Daneben entdeckte sie einen Toilettentisch, den ebenso üppige Schnitzereien zierten. Darauf lagen Kamm, Bürste und andere Utensilien aus purem Gold.
Am anderen Ende der Schlafkammer befanden sich einige Kleiderschränke. Jeder dieser Schränke war so groß, dass jene Kammer hineingepasst hätte, in der das Mädchen früher im Haus ihres Vaters mit all ihren Geschwistern geschlafen hatte. In den Kleiderschränken hingen wunderschöne Kleider, eines schöner als das andere. Und jedes Einzelne schien nur für sie gemacht zu sein.
Sie wählte ein Nachthemd aus, das aus einem feineren Material war als alles, was sie je besessen hatte. Sie kuschelte sich in die Bettdecken, die in der Zwischenzeit von der Dienerin für sie hergerichtet worden waren. Wie es wohl ihrer Familie ergangen war?, fragte sie sich.
Ihre Angst war inzwischen zum größten Teil verschwunden. Trotzdem erfasste sie ein Gefühl der Unruhe, als sie ihren Kopf auf das samtene Kissen legte und die Augen schloss. Obwohl alles so perfekt war, spürte sie eine merkwürdige Leere und Sehnsucht.
Hatte sie etwa Heimweh? Nein, das konnte es nicht sein. Denn auch wenn sie ihre Familie liebte, war sie nun in einem Alter, in dem die Einsamkeit eines eigenen Schlafzimmers ihr mehr als willkommen war. Außerdem konnte sie sich erinnern, dass sie sich auch im Haus ihres Vaters so gefühlt hatte. Damals hatte sie geglaubt, es wäre einfach Unzufriedenheit, die sie verspürte, weil sie schöne Dinge besitzen wollte. Aber hier waren all die schönen Dinge, nach denen sie sich gesehnt hatte, und das Gefühl der Leere war immer noch da, und es war stärker als zuvor. Sie besaß nun alles, was sie sich je gewünscht hatte, aber noch immer war da diese unbestimmte Sehnsucht, die sie nicht genau benennen konnte.
Bevor sie länger darüber nachdenken konnte, öffnete sich plötzlich die Tür zu ihrem Schlafzimmer. Sie hörte, wie jemand den Raum betrat und die Tür hinter sich wieder schloss. Sie hatte die Kerze gelöscht. Kein Mondlicht und kein Glanz der Sterne drangen durch die dicken Samtvorhänge, die vor den Fenstern hingen. Sie hatte keine Möglichkeit zu sehen, wer da ihr Schlafzimmer betreten hatte.
Im ersten Moment war das Mädchen nicht beunruhigt. Sie dachte, dass die alte Dienerin zurückgekommen war, um sie zuzudecken und ihr eine gute Nacht zu wünschen. Aber vielleicht war die alte Dienerin ja gekommen, weil sie ihren unausgesprochenen Wunsch ausführen wollte, jene unbestimmte Sehnsucht zu erfüllen! Hatte ihr nicht der Bär versprochen, dass jeder ihrer Wünsche umgehend erfüllt werden würde?
Aber es blieb still, das einfältige Plaudern der alten Dienerin blieb diesmal aus.
“Wer ist da?”, sagte das Mädchen. Aber sie bekam keine Antwort.
Langsam richtete sie sich im Bett auf und lauschte. Sie drehte den Kopf in die Richtung, in der sie den Eindringling vermutete. Angestrengt versuchte sie zu ergründen, was die leisen, raschelnden Geräusche bedeuteten, die sie hörte.
Sie riss die Augen weit auf und verspürte jähe Angst. Denn es kam ihr vor, als hätte sich der Eindringling seiner Kleidung entledigt. Dann hörte sie, wie jemand sich in Richtung Bett bewegte. Sie konnte kaum atmen, so sehr ängstigte sie sich jetzt wieder. Aber irgendwie schaffte sie es, zu flüstern: “Wer bist du?”
Der Fremde antwortete jedoch nicht.
“Wer bist du?”, wiederholte sie verzweifelt. “Bist du das, Bär?”
Aber schon als sie diese Frage stellte, wusste sie, dass
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