Verzwickt chaotisch
bescheuert. Herrn Rübsam hat mein Aufsatz gefallen. Und vielleicht motiviert er ihn dazu, etwas mehr auf seine Körperpflege zu achten. Ist dir aufgefallen, dass er müffelt?« Leander zog seine sonnengebräunte Nase kraus.
»Mir ist egal, wie Herr Rübsam riecht! Du hast mich blamiert, vor der ganzen Klasse!«
»Wieso denn blamiert? Die haben gelacht, Lachen ist Freude, also –«
»Es gibt verschiedene Arten von Lachen!« Ich blieb einen Moment stehen, um mich zu beruhigen. Mir war danach, mit Leander rumzubrüllen, und es würde für die Omis, die in dieser Gasse lebten, sehr merkwürdig aussehen, wenn ein Mädchen ganz alleine in der Gegend herumbrüllte. Wenn ein Mädchen vor sich hin redete, ging das gerade noch als jugendlicher Irrsinn durch. Aber Brüllen war zu viel des Guten. »So einfach ist das nicht mit den menschlichen Gefühlen, Leander, und das weißt du ganz genau. Stell dich nicht dumm!«
Leander setzte sein Grinsen nicht ab, aber es wurde eine Spur schuldbewusst. Wenn Leander eines verstanden hatte, dann war es das Prinzip der Schadenfreude. Eine meiner Meinung nach ganz und gar unehrenhafte Gefühlsregung für einen Wächter, denn Sky Patrol war schließlich dafür da, Schaden zu vermeiden, und nicht dafür, sich daran zu ergötzen. Doch Leander ergötzte sich liebend gerne am Schaden anderer. Vor allem an meinem.
»Ist ja gut, Luzie. Alors – sie haben dich ein bisschen ausgelacht. Na und? Weil sie denken, dass du Johnny toll findest? Ist doch gut. Man kann ihn ja auch toll finden. Außerdem gehen wir nun auf Klassenfahrt. Surprise, surprise!«
Ich blieb erneut stehen und holte tief Luft. »Nein, Leander. Nicht wir gehen auf Klassenfahrt. Ich gehe auf Klassenfahrt. Du bleibst zu Hause.«
Leander drehte sich zu mir um. Trotzig verschränkte er die nackten Arme vor der Brust. Seine unzähligen Ketten klirrten, als seine Handgelenke sie streiften. »Nee, nee, Luzie. Diese Klassenfahrt findet nur wegen meines Aufsatzes statt. Ich hab euch das alles erst ermöglicht. Also hab ich auch das Recht mitzufahren.«
»Du hast gar kein Recht!«, rief ich erbost. »Du bist ein blöder, unsichtbarer Geist! Niemand sieht dich außer mir! Du kannst zwanzig Aufsätze über Johnny Depps Körperbehaarung schreiben und es sieht dich immer noch niemand!«
Leander wurde blass. »Du kannst mir nicht verbieten, auf Klassenfahrt zu gehen.«
»Leander, bitte!« Jetzt klang ich verzweifelt. »Wie soll das denn funktionieren? Da sind immer andere Wächter und andere Menschen um uns herum! Das ist nicht so wie zu Hause, wo meine Eltern den ganzen Tag im Keller sind und uns nicht hören können. Es ist kein Platz für dich – die können dich doch spüren. Das wird nicht funktionieren. Verstehst du das denn nicht? Ich will auch mal Spaß haben! Ohne dich!«
Leander ließ sich auf den Bordstein sinken. Mit gerecktem Kinn blickte er an mir vorbei. »Wenn du denkst, ich lasse dich allein, Luzie …«
»Oh, jetzt tu doch nicht wie ein Heiliger!« Ich senkte mühsam meine Stimme. »Du hast mich schon öfter allein gelassen. Dauernd eigentlich. Da war es dir auch egal. Außerdem hab ich keinen Sky-Patrol-Anspruch mehr. Du musst nicht bei mir sein. Du kannst in meinem Bett schlafen, mit Mama fernsehen, am Computer surfen …« Ich stockte. Und was würde er essen? Wie würde er duschen? Würde er es schaffen, heimlich aufs Klo zu gehen, ohne dass es auffiel? Das war ohnehin schwierig genug. Wenn Mama und Papa in der Wohnung waren, musste Leander sich seine Toilettengänge verkneifen oder aber ich hielt Wache – mit der Abmachung, dass ich im Notfall zu ihm ins Bad stürzen würde oder er sich hinter dem Badewannenvorhang versteckte. Was er einmal hatte tun müssen, als Mama ein dringendes Bedürfnis geplagt hatte. Leander hatte anschließend sieben Stunden lang kein Wort mehr gesprochen. Für seine Verhältnisse eine Sensation. Doch ihn für fünf Tage und drei Nächte alleine mit meinen Eltern in der Wohnung lassen? Unvorstellbar. Irgendeine Katastrophe würde passieren.
»Tja – merkst du was, Luzie?«, fragte Leander gedämpft. »Es wird schwierig.«
»Dann schwirr halt in der Luft herum, bis ich wieder zurück bin. Das kannst du doch noch, oder?«
»Nicht fünf Tage lang. Das schaffe ich nicht. Außerdem holen sie mich vielleicht zurück, wenn sie mich tagelang durch die Gegend fliegen sehen.« Sie – das war seine Truppe. Oder gar die Zentrale, die versucht hatte, seinen Körper zu entfernen. Und sosehr ich
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