Vilja und das Raeuberfest
ich an diesen einen bestimmten Zwischenfall denken: Wie kommt es, dass du – die total hinter dem Mond lebt, wenn es um Dinge geht, die › in‹ sind – eine echte Bandit-H-Barbie besitzt?!, hatte Vanamo gekreischt. Konnte es sein, dass sie über Bandit-H so gut Bescheid wusste, dass sie sich den Benutzernamen und das Passwort, das auf dem Oberschenkel der Barbie eintätowiert war, geschnappt hatte, noch bevor sie mich in die Mangel genommen hatte?
Wenn es so gelaufen war, dann war ich diejenige, die Mist gebaut hatte. Hele hatte von mir verlangt, den Benutzernamen sofort zu ändern, aber ich Dummkopf hatte ihn behalten, weil er mich an den letzten Sommer erinnerte.
Wenn Vanamo es geschafft haben sollte, die Bandit-H-Seite zu öffnen, dann hatte sie sich dort unter meinem Benutzernamen eingeloggt – dabei würde sich gleichzeitig der obere Balken öffnen, mit dem man den kompletten Verlauf der Privatnachrichten durchblättern konnte. In diesen Mails beschwerte ich mich darüber, wie furchtbar es zu Hause war und ließ mich ziemlich gemein darüber aus, was Vanamo so trieb. Wenn sie diese Nachrichten gelesen haben sollte, wäre es nicht verwunderlich, wenn sie nie wieder ein Wort mit mir redete.
Meine Schwester setzte sich auf den Strand, zog ihr Hemd aus und wickelte es wie einen Turban um ihren Kopf. Sie fing an, mit dem Finger Kreise in den Sand zu malen und starrte auf die Leute, die im Wasser waren. Es sah aus, als hätte sie es überhaupt nicht eilig. In mir reifte eine Erkenntnis heran, die mich sehr traurig und wehmütig machte: Ich hatte überhaupt keine Chance, unbemerkt an meinem Vater und an Vanamo vorbeizuschleichen! Aber wenn ich mich ergab, könnte sich wenigstens die Räuberfamilie in Sicherheit bringen. Mein Sommerabenteuer war jetzt vorbei, ganz ohne Vorwarnung!
Wenn Hele in meiner Situation wäre oder Kaija in meiner Haut stecken würde, täten sie genau das Gleiche: Sie würden ALLES tun, um die eigene Gruppe zu retten.
Nach dieser Erkenntnis begann ich, zum Strand zu waten, obwohl ich die ganze Zeit über insgeheim hoffte, dass jemand von den Räuberbergs mich aufhalten und sagen würde » Mach jetzt keine Dummheiten!«.
Aber keiner kam.
Vanamos Gesichtsausdruck veränderte sich, als sie mich erkannte. Sie winkte und schrie ganz schrecklich viel herum. Ich ging die letzten Meter auf dem Strand auf sie zu. Mein Papa und die Polizisten, die in der Nähe waren, liefen zu uns. » Ist sie das? Ist das Vilja-Tuuli Vainisto, elf Jahre alt?«, fragte ein Polizist meinen Vater.
Es ärgerte mich, dass er mich nicht persönlich fragte, so als sei ich irgendein sprachloses Spielzeug.
» Ich bin’s«, sagte ich.
Papa und die Polizisten untersuchten mich von Kopf bis Fuß.
» Sie ist völlig unverletzt.«
Dann packte mich Vanamo und hielt mich fest: » Du erzählst jetzt sofort, wo sich die anderen verstecken! Wo sind deine Räuberkumpels?!«
Papa versuchte zu helfen: » Sind sie irgendwo in dem Barbie-Gothic-Durcheinander?«
Meine Schwester schüttelte mich: » Jetzt gestehe endlich, du Mini-Rebell!«
Der Polizist, der mich untersucht hatte, löste Vanamos Hände behutsam von mir. » Na, na. Jetzt lassen wir erst mal deine kleine Schwester zur Ruhe kommen. Ich versteh’ ja, dass du dir Sorgen gemacht hast, aber jetzt ist es am Wichtigsten, dass Vilja in Sicherheit ist! Und für die Zukunft würde ich deinem Vater raten, häufiger auf der Seite des Schwächeren zu sein! Nicht, dass sich die Situation erneut so zuspitzt und es immer auf ein Von-zu-Hause-weglaufen und Ärgern hinausläuft!«
Papa reichte mir schweigend sein langärmeliges Hemd, mit dem ich mich, so gut es ging, abtrocknete. » Das hört jetzt auf«, sagte er dann leise. » Dieses Weglaufen hört jetzt auf!«
Vanamo ließ ein triumphierendes Lächeln aufblitzen.
» Und das hört auch auf, dass du deine Schwester immer ärgerst!«, schimpfte Papa. » Glaub nicht, dass ich blind bin oder taub. Es kann sein, dass ich vor Wut etwas dumm gewesen bin und mich nicht genug um euch gekümmert habe, aber auch das hört jetzt auf! Wir gehen jetzt von diesem Strand zum Auto, und dann fahren wir nach Hause, wo ab heute Frieden herrscht!!«
Wir machten uns für die Heimreise bereit. Ich entfernte den Sand zwischen meinen Zehen und zog mir wieder die patschnassen Schuhe an. Plötzlich spürte ich Heles Anwesenheit ganz nah bei mir. Ich drehte leicht den Kopf. Sie war nur einen Meter hinter mir und wühlte in Seelenruhe in einer fremden
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