VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
Militärs breitete sich im Regen unaufhaltsam aus. Panzerungen klappten auf, und aus dem gewölbten Buckel des Großraumshuttles stiegen die waffenstarrenden Kuppeln der Geschütztürme auf, um wie witternde Raubtiere mit ihren Sensoren die Umgebung abzusuchen. Die Vilmer staunten über diese vollkommen sinnlose Demonstration moderner Technik, da wurden sie über Lautsprecher aufgefordert, sich in die medizinischen Notfalleinrichtungen an Bord der Evakuierungsshuttles zu begeben. Als wäre jemand auf der Armorica der Meinung, das Leben auf der Regenwelt habe alle Menschen unrettbar geistig umnachtet, folgten detaillierte Erklärungen, wie man diese Notfalleinrichtungen finden könne. Sogar das genaue Aussehen der Einstiege wurde beschrieben. Alles in einer Lautstärke, die selbst die Schreilen auf Tage verstummen ließ.
Niemand hatte vorher darüber gesprochen, weil keiner damit gerechnet hatte, die ersehnten Rettungsmannschaften würden sich benehmen wie Heeresverbände bei der Erstürmung einer Maschinenfeste – die Vilmer ihrerseits reagierten alle auf dieselbe Weise. Wenige Minuten nach der Landung starrten die Retter mit ihren Multifrequenzvisieren in den Regen hinaus und sahen: nichts. Die zu rettenden Leute glänzten durch Abwesenheit und selbst die beste Restlichtverstärkung brachte kein anderes Bild als das eines unbeeindruckt fallenden Regens. Hier und da wurden demonstrativ Jalousien heruntergelassen und Fensterläden verriegelt. Die Bevölkerung Vilms, Menschen und Eingesichter, hatte sich in die Quartiere zurückgezogen. Einige hatten begonnen, die schlimmsten Schäden, die von den Rettern angerichtet worden waren, behelfsmäßig zu beheben. Die medizinischen Notfalleinrichtungen blieben leer. Niemand meldete sich. Die ratlosen Soldaten konnten nicht wissen, dass die von Kaktuswurzeln und anderen Drogen erweiterten Sinne einiger Vilmer jeden ihrer Schritte spürten; niemand blieb unbeobachtet. Erst Stunden nach dem heuschreckenartigen Einfall der Weltenkreuzer-Technologie fand sich in einem der schneeweiß leuchtenden medizinischen Räume eine tief verhüllte Gestalt ein, die einen Zettel mit dem daraufgekritzelten Namen »Anna Calandra« ablieferte und sich in medizinische Behandlung begab. Aber diese traurige, offenbar von jahrelangen Schmerzen verkrümmte Gestalt konnte niemandem von der Armorica irgendwelche Antworten geben, weil die vollautomatisierte Quarantänestation augenblicklich in Hektik verfiel. Das Gerät versetzte die verschleierte Dame schnurstracks in Heilschlaf, umgab sie mit einem hochsterilen Kokon und versiegelte alles eilig. Danach verlangte das medizinische Expertensystem, die Patientin schnellstens in eine spezialisierte Klinik auf Penta V zu bringen.
Die Maschine, an die Eliza Simms angeschlossen war, gab ein befriedigtes Geräusch von sich und ließ den Armstumpf frei. Über den Bildschirm lief eine Mitteilung, dass sich das Gerät für die Zusammenarbeit bedanke und weitere Auskünfte der behandelnde Arzt erteilen würde. Schleimer, dachte Eliza und stand auf. Sie konnte sich in diesen Räumen nicht wohlfühlen. Natürlich waren alle Fußböden eben, die Wände in freundlichen Farben gehalten, die Beleuchtung dem Spektrum der guten alten Sonne so weit es ging angenähert, und wohin man sah, drängte sich dem Blick eine dieser widerlichen Grünpflanzen auf. Dieses Grün stimmte einfach nicht. Es war zu grell. Genau wie die Tönung der Wände und Decken, das sollten eigentlich alles zarte Pastelltöne sein – und doch kamen Eliza diese Farben kunterbunt und knallig vor. Liegt es an mir, fragte sie sich, haben mich ein paar Jahre Vilm süchtig gemacht nach Regen und Nebel? Kann sein. Und süchtig nach richtiger Luft, nicht diesem labberig riechenden Zeug, das einem Atemnot verursacht.
Doktor Schyberg tauchte wieder auf, entschuldigte sich für sein Wegbleiben und dachte überhaupt nicht daran, die ausgedruckten Berichte des Apparates zur Kenntnis zu nehmen, die ordentlich aufgestapelt im Auffangkorb lagen. Natürlich nicht, begriff Eliza, als sie die rasche Handbewegung des Arztes sah, diese Ausdrucke wandern ungelesen ins Archiv, keiner wird sie jemals lesen, der Kerl hat sich eben mit einem kurzen Kontakt zur roten Linie sämtliche Untersuchungsergebnisse direkt ins Gehirn stopfen lassen, angereichert mit den Datenbankinformationen über vergleichbare Fälle und allerlei Kommentaren der IN-Rechner, mal abgesehen von den Meinungen der Kollegen, die gerade im Netz sind.
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