Voellig durchgeknallt
Schweiß.
Lexi und ich hängen eigentlich dauernd zusammen rum, aber abgesehen davon, dass ich sie nach der Schule nach Hause bringe, sind immer andere mit dabei. Sie gluckt mit ihren Freundinnen zusammen und ich bin halt einer von ihren Kumpels. Das heute Abend ist was anderes.
Ich beobachte den Verkehr und die Leute. Ich schaue alle halbe Minute auf mein Handy, damit ich auch ja keine SMS verpasse. Die Warterei nervt voll und es fehlt nicht viel, dass ich schnurstracks wieder nach Hause gehe.
Hier in der Innenstadt hat sich seit Jahren nichts verändert. Dieselben Geschäfte (bis auf den Bäcker, der jetzt da ist, wo früher der Fernsehverleih war), an der Hauptstraße dasselbe Denkmal mit dem Typen auf dem Pferd, sogar dieselben Gesichter, bloß dass sie jeden Tag älter und hässlicher werden. Das einzig Vernünftige an dieser Stadt ist Lexi Juby. Sobald ich kann, hau ich von hier ab. Mein Traumjob wäre Rennfahrer. Aber das wird wohl nicht klappen. Ich schaue einem Flugzeug nach. Vielleicht könnte ich ja Flugbegleiter werden. Da gondelt man durch die ganze Welt und ist umgeben von lauter hübschen Frauen. Blöd nur, dass der Job für einen Mann ein bisschen schwul ist. Vor dem Reisebürofenster bleibe ich stehen. Neulich habe ich im Fernsehen eine Sendung über ein Dorf in Griechenland |216| oder so gesehen, wo sich die Touristinnen alle besaufen, und dann sind sie außer Rand und Band. Da hatte ich eigentlich beschlossen, Reiseleiter zu werden, obwohl ich noch nie verreist war. Ich war bloß einmal am Meer, und da war ich acht, mit meinen Pflegeeltern Guy und Midge.
Ich lese die Urlaubsangebote.
Gran Canaria: 2 Wochen – 209 Pfund
Malaga: 1 Woche (Halbpension) – 220 Pfund
Malta: 1 Woche – 130 Pfund
Auf einmal habe ich den Drang, irgendwohin zu reisen. Aber so viel Kohle werde ich wohl nie zusammenhaben. Ich kriege von Oma 20 Pfund die Woche, das ist alles.
Ich stehe eine Ewigkeit vor dem Schaufenster, schlage die Zeit tot und gebe mir Mühe, nicht andauernd auf die Uhr zu schauen. Ich halt’s nicht aus. Ein Blick aufs Handy: 20.05 Uhr.
Sie kommt nicht. Sie versetzt mich. Jede Wette, dass sie irgendwo mit Debs die Köpfe zusammensteckt und sich kaputtlacht. Mann! Jede Wette, dass die beiden mich jetzt beobachten und über meine neue Frisur lachen. Vielleicht ist das ja der Grund. Vielleicht hat sie von Weitem meine Frisur gesehen und ist gleich wieder umgedreht.
»Hallo, Chas.«
Ich fahre herum. Ich hoffe unvernünftigerweise, dass es Lexi ist, obwohl ich genau weiß, dass diese gruselig sanfte Lispelstimme nicht ihre ist. Ich kippe fast vom Bürgersteig, als ich Lenny Darling gegenüberstehe.
|217| »Wartest du auf jemanden?«, fragt Lenny. »Vielleicht auf Devlin Juby? Deine Mutter hat gesagt, ihr beide wärt mal unzertrennlich gewesen. Klingt nach Scherereien. Oder wartest du vielleicht auf deine F-Freundin ?«
Das darf einfach nicht wahr sein. Ich atme tief durch. Lexi ist bestimmt gleich da.
»Immer mit der Ruhe. Ich will dir ja nicht ans Leben«, sagt Lenny.
»Was?«
»War bloß Spaß.« Lennys Totenschädelvisage verzerrt sich zu einem schiefen Lächeln.
»Glaub ich nicht«, brumme ich. Ich halte panisch Ausschau nach einer Fluchtmöglichkeit. Aber wenn ich jetzt abhaue, verpasse ich Lexi.
»Also wirklich, Chas!« Lenny schüttelt den Kopf. »Warum hast du Angst vor mir? Ich weiß ja, dass ich vorläufig kein besonders schöner Anblick bin, aber du würdest auch nicht besser aussehen, wenn du die letzten zehn Jahre bei künstlichem Licht und in ständiger Todesangst zugebracht hättest.«
»Ich fürchte mich nicht vor Ihnen«, schwindle ich.
Lenny lächelt. Er trägt einen Anzug. Einen cremefarbenen Anzug und ein himmelblaues Hemd, an dem er oben ein paar Knöpfe offen gelassen hat, damit man seine käsige Brust sieht.
»Ich bin überrascht und dir wirklich sehr dankbar, dass du meine unselige Geschichte noch nicht in der ganzen Stadt herumerzählt hast«, fährt er fort. »Meine Meinung von dir hat sich entschieden gebessert. Ich möchte, dass |218| mich fremde Leute erst einmal p-persönlich kennenlernen.« Er legt mir die Hand auf die Schulter und ich mache mir fast in die Hose. »Erinnerst du dich noch an deine wohlformulierte Frage in deinem allerersten Brief:
Wollten Sie den J-Jungen damals umbringen?
Hoppla, dachte ich, da ist aber jemand offenherzig! Man könnte es auch verdammt dreist nennen, was meinst du?«
»Keine Ahnung.« Es passt
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