Vogelwild
neun, Bastian und Marius.«
»Die beiden sind in Nürnberg aufgewachsen, wie?«
Schneidt runzelte die Stirn und grinste dann: »Großstadtkinder also! Kennen
bestimmt bloß den McDonald’s in der Fußgängerzone und die Computerabteilung vom
Elektronikmarkt?«
Morgenstern wertete das als offene Beleidigung,
versuchte aber, seinen Groll im Zaum zu halten. Letztendlich zeigte sich
Schneidt großzügig: »Na, ich will mal nicht so sein, nehmen Sie die beiden
ruhig mit, dann können die Buben bei uns noch etwas lernen.«
Red du nur, fluchte Morgenstern still in sich hinein,
du mit deinem Ingolstadt, deiner Bonsai-Großstadt. Und dann nahm er sich fest
vor, direkt nach dem kulturellen Programm mit seinen Söhnen als Belohnung die
Eichstätter McDonald’s-Filiale zu besuchen. Als kleine, private Retourkutsche.
***
Diesmal,
am Dienstagnachmittag, hatte das Museum auf der Willibaldsburg geöffnet.
Morgenstern, Bastian und Marius waren zu Fuß den Burgberg hinaufgestapft, zuvor
hatten die Jungen vergeblich dafür plädiert, den Landrover zu nehmen. Von der
historischen Altstadt waren sie über die Altmühlbrücke am Bahnhof gegangen,
dann über die Bundesstraße 13 und am Gefängnis steil den Hang des
Altmühltals hinauf. Die Gefängnismauer wurde von Stacheldrahtrollen bekrönt,
alle Fenster waren mit massiven Gittern versehen, ein stählernes Tor direkt
neben dem Bürgersteig wurde von einer Videokamera überwacht. Die Jungen
staunten nicht schlecht: »Und hier sitzen die Männer, die du verhaftest, Papa?«
»Na ja.« Morgenstern blickte skeptisch zu den
vergitterten Zellen hinauf. »Einige vielleicht schon.« Er wusste, dass die
Justizvollzugsanstalt Eichstätt mit ihren rund hundert Insassen eher zu den
kleineren in Bayern zählte, aber des Öfteren durchaus auch »härtere« Fälle
beherbergte, etwa solche aus dem Nürnberger Raum.
Würde hier vielleicht bald auch Önemirs Mörder sein
Quartier beziehen müssen? Das hing ganz von ihm, Morgenstern, ab. Und von
Hecht. Und vielleicht sogar auch ein wenig von Schneidt. Wer konnte schon
vorhersehen, was dem noch alles einfallen würde? In Gedanken an
Gefängnishäftlinge und unkalkulierbare Chefs liefen die Morgensterns weiter zur
Burg hinauf.
Im Museum wartete bereits ein gutes Dutzend Besucher
auf die Führung. Eine kleine, bebrillte, burschikose Frau Mitte fünfzig übernahm
das Kommando. Vorbildlich hielt Morgenstern in der Brusttasche seines Hemds
einen kleinen Spiralschreibblock sowie einen Kugelschreiber bereit, um sich
gegebenenfalls Notizen machen zu können. Wahrscheinlich würde er hinterher Adam
Schneidt Rechenschaft ablegen müssen, aber auch so konnten ein paar
schriftliche Erinnerungshilfen nicht schaden.
»Vor einhundertfünfzig Millionen Jahren war die Gegend
rund um Eichstätt eine seichte Meereslagune, in der ein tropisches Klima
herrschte«, begann die Führerin. »Weiter im Süden lag das wilde Meer, doch
diese Lagune war für die hier lebenden Tiere und Pflanzen ein Paradies.«
Automatisch hatte Morgenstern Bilder des
Kinoschmachtfetzens »Die blaue Lagune« aus dem Jahr 1976 vor Augen. Einer der
ersten Filme, die er im Kino gesehen hatte. Zur Freude des damals sehr jungen
Morgenstern hatte sich darin die ebenfalls sehr junge Brooke Shields
verführerisch am Südseestrand rekeln dürfen.
Verdammt, ich lasse mich wirklich zu leicht ablenken,
ärgerte sich Morgenstern, als er bemerkte, dass die Führerin nicht auf seine
Erinnerungen Rücksicht nahm, sondern schon längst weitererzählt hatte.
»Im Eichstätter Jurameer gab es riesige Korallenriffe,
ein wahres Eldorado für Fische. Hier im Museum haben wir einige
Meerwasseraquarien, damit Sie sich vorstellen können, welche Fische in diesem
flachen Wasser lebten. An Land gab es Dinosaurier und Krokodile, die haben wir
allerdings nicht lebend.« Einige Besucher lachten. »Und was war mit dem Leben
in der Luft?«, fragte die Führerin nun über ihre Brille hinweg in die Runde.
»Durch die Lüfte segelten Flugsaurier, die hatten Flughäute, wie wir sie heute
von den Fledermäusen her kennen. Und dann gab es noch den Archaeopteryx mit
seinen gefiederten Flügeln. Der Urahne aller Vögel.«
Morgenstern bemühte sich jetzt um äußerste
Konzentration. Aber das war nicht einfach, musste er doch ständig seine beiden
Söhne im Auge behalten, die gar nicht daran dachten, bei der Gruppe zu bleiben,
sondern immer wieder versuchten, selbstständig auf Erkundungstour auszuschwärmen.
»Immer wieder kam
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