Vogelwild
nach einem Papiertaschentuch, fand aber in
seiner Hosentasche nur ein riesiges blau-weiß kariertes Stofftuch, das er Maier
nach kurzem Zögern reichte.
»Wenn das stimmt, was Sie uns da erzählen, dann können
Sie von Glück sagen, dass Sie rechtzeitig den Absprung geschafft haben«, sagte
Hecht. »Aber jetzt will ich endlich wissen, um was es hier eigentlich geht.«
Maier sah die beiden Kommissare aus geröteten Augen
erstaunt an. »Das wissen Sie nicht? Sie haben keine Ahnung?«
»O doch, wir wissen sogar sehr viel«, entschied sich
Morgenstern erneut für einen hochstaplerischen Versuchsballon und hoffte, dass
Hecht mitspielen würde, »uns ist klar, dass es hier um den Urvogel
Archaeopteryx geht. Und Sie wissen das auch.«
»Dieser verdammte, beschissene, verfluchte Vogel! Nur
der ist an allem schuld«, regte sich Maier denn auch sofort auf. »Dieses
Teufelsding!«
»Wie bitte?«, fragte Hecht. »Teufelsding?«
»Ja, Teufelszeug eben! Verstehen Sie denn nicht?
Dieser verdammte Vogel bringt Gottes gesamten Schöpfungsplan durcheinander. Das
sagt Professor Heine, und viele andere sind seiner Meinung. Es ist ja auch die
Wahrheit. Die Bibel muss recht behalten!« Lars Maier hatte den letzten Satz
geradezu herausgeschrien und beide Hände dabei zu Fäusten geballt. Morgenstern
und Hecht sahen sich peinlich berührt an.
»Und was hat jetzt der Archaeopteryx mit der Bibel zu
tun?«, fragte Morgenstern schließlich.
»Nichts, überhaupt nichts, das ist es ja eben! Er
passt nicht in die Genesis, in das erste Buch Moses, die Schöpfungsgeschichte.«
Maier stockte und sah die Kommissare skeptisch an. Anscheinend hatte er wieder
leichte Zweifel am Informationsvorsprung der beiden Ermittler.
»Und warum sind Sie ausgerechnet so sauer auf den
Archaeopteryx, dieses kleine unscheinbare Vieh, und nicht auf …«, Morgenstern
dachte kurz nach, »… und nicht auf die Dinosaurier, beispielsweise auf den
Tyrannosaurus Rex? Ich meine, der macht wenigstens was her, ist auch
ausgestorben, und in der Bibel kommt er auch nicht vor, soweit ich mich
erinnern kann.«
»Das ist ja gerade der Punkt«, ereiferte sich Maier
erneut. »Die Dinosaurier sind ausgestorben. So etwas kann im Laufe der
Heilsgeschichte durchaus passieren. So wie vielleicht demnächst der Pandabär
ausstirbt. Wer weiß? Gott hat ihn geschaffen vor aller Zeit, und dann geht er
irgendwann verloren. Aber beim Archaeopteryx ist das etwas anderes: dieser
Bastard, dieses Zwischending, halb Echse, halb Vogel! Er passt nicht in die
Genesis. Gott hat die Echsen geschaffen, Gott hat die Vögel geschaffen, aber
Gott hat nie und nimmer so ein Zwischending fabriziert. Die Erde war ab dem
siebten Tag vollkommen, und die Schöpfung war es auch. Der Archaeopteryx ist
für jeden Menschen, der an das Wort Gottes glaubt, wie ein Schlag ins Gesicht,
eine unverschämte Provokation. Und deswegen wollten wir die Wahrheit an den Dom
sprühen. 1/20, das ist der Absatz in der Genesis, in dem Gott die Vögel des
Himmels schuf. Bei unserem Motto ›Darwin is dead‹ haben Sie uns am Dom unterbrochen. Darwin ist ein Lügner mit seiner sogenannten
Evolutionstheorie: Das wollten wir mit unserer Aktion klarstellen, damit den
Eichstättern endlich die Augen geöffnet werden.«
Die beiden Ermittler blickten sich an. »Das ist ja
fanatisch«, flüsterte Morgenstern.
»Nein, nicht fanatisch«, wehrte sich Maier, der die
Bemerkung gehört hatte. Mit einem Mal wirkte er, als hätte er eine neue,
unbekannte Energiequelle angezapft. Er erstarkte vor den Augen der Kommissare.
»Wir sind gläubige Christen. Keine Weicheier, die das Wort Gottes drehen und
wenden, bis es ihnen endlich in den Kram passt.« Dann begann er, feierlich zu
deklamieren: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des
Himmels und der Erde.« Die letzten Worte stieß er einzeln und stakkatoartig
aus.
»Schon gut, schon gut, wir kennen das katholische
Glaubensbekenntnis ja auch«, stoppte Hecht Maiers Redefluss.
Plötzlich ging Morgenstern ein Licht auf, woher er
solchen religiösen Bekenntniseifer kannte: »Es ist gut, Herr Maier. Sie haben
wohl ein bisschen zu viel Ben Hur gesehen. Aber wir sind hier weder im
Kolosseum, noch bin ich Kaiser Nero oder Sie ein verfolgter Märtyrer. Wir leben
im 21. Jahrhundert in einer liberalen Gesellschaft, da darf erst einmal
jeder glauben, was er will, solange er dem anderen damit nicht auf den Wecker
geht.«
»Und solange er ihm nicht seine wertvollsten
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