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Voll erwischt

Voll erwischt

Titel: Voll erwischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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ungeheuer dominanten Präsenz von diesem Norman ergeben, regelrecht kapituliert. Celia sagte, Hitler wäre so gewesen, all diese Diktatoren besäßen diese Charisma-Sache, weswegen die Leute sie für übermenschlich hielten. Und Geordie erinnerte sich, Gus erzählt zu haben, was Celia gesagt hatte, und dann meinte Gus, daß sie überhaupt nicht übermenschlich waren, nur schlicht und einfach total verkorkst. Und dabei mußte Geordie lächeln, bei der Erinnerung an Gus und daran, wie er immer redete. Und das Lächeln machte ihm ein schlechtes Gewissen: er lächelte, wo Gus doch tot war. Also hörte er sofort auf zu lächeln und dachte statt dessen weiter über dieses Mädchen nach.
    Sie war mager, aber sie hatte ein hübsches Gesicht. Beim erstenmal war’s ihm noch nicht aufgefallen, als Norman ihren Arm packte, aber beim zweitenmal, als sie im Museum Gardens gewesen war und die Touristen beobachtete, die den Pfau angafften, da hatte sie gelächelt. Da war ihm ihr Gesicht aufgefallen, wegen diesem Lächeln. Es war ein irgendwie rundliches Gesicht, das man bei einem so mageren Menschen nicht erwartete. Bei mageren Menschen erwartete man eher ein längliches Gesicht. Aber dieses Mädchen hatte ein rundliches Gesicht, und es paßte ganz gut zu ihr.
    Seitdem hatte Geordie fünfmal über sie nachgedacht, und er kam einfach nicht dahinter, warum ein Mädchen mit so einem hübschen rundlichen Gesicht sich mit jemandem einließ, der durch die Gegend rannte und Leute umbrachte. Er wußte wirklich nicht, wie er das verstehen sollte. Er wußte nicht, wo er anfangen sollte. Zumindest nicht rational; völlig problemlos konnte er jedoch von ihr phantasieren, was ihn allerdings auch nicht weiterbrachte, da es immer damit endete, daß sich Geordie und das Mädchen in einem Clinch miteinander verhedderten. In seiner Phantasie berührten sich ihre Körperteile, und alles war in dieses diffuse Licht getaucht, wie es auch in der Fernsehwerbung benutzt wird. Und am Ende der Phantasie fühlte man sich auch nicht besser. Man wollte nur noch schreien.
    Pfaue schreien nicht. Pfaue kreischen bei Einbruch der Dunkelheit von den alten Stadtmauern. Bevor Sam ihm die Wohnung besorgte, schlief Geordie gelegentlich im Museum Gardens. Bei Einbruch der Dunkelheit jedoch, wenn der Pfau sein Weibchen rief, mied er diesen Ort. Wenn sich der grauenhafte Ruf des Pfaus in seinem Kopf festsetzte, saß er die halbe Nacht neben Barney und wagte es nicht, die Augen zu schließen. Der Ruf des Pfaus war geisterhaft, befremdlich, schien überhaupt nichts mit dem Pfau zu tun zu haben, dafür aber um so mehr mit den verlorenen Seelen, die in den Ruinen der alten Festung hausten. Es war eine Trompete nach einer Schlacht, eine Trompete gespielt von einem toten Soldaten ohne Lippen.
    Gus war ein toter Soldat. Wenn Geordie versuchte, darüber nachzudenken, wo Gus jetzt wohl sein mochte, fiel es ihm schwer, es sich vorzustellen. Lag er zum Beispiel in einer Kiste unter der Erde, was, wie Gus selbst meinte, genau das war, was mit den Leuten passierte, wenn sie starben? Oder war er im Himmel, was Celias Meinung zufolge mit den Leuten passierte, wenn sie starben?
    Sam war bei solchen Fragen nicht zu gebrauchen, weil er sich einfach nicht entscheiden konnte, was er glaubte. Er schien seine eigene Privatreligion zu besitzen, über die er nicht reden wollte, und gleichgültig, was immer man ihm diesbezüglich vorschlug, antwortete er doch stets, es sei jedem einzelnen selbst überlassen, was er glaubte.
    Soweit Geordie sich darüber klarwerden konnte, war er - das heißt, Geordie - ein Humanist. Als Christ glaubte man an Gott und den Himmel und die Hölle und einen ganzen Haufen anderer Dinge wie Credos und Hymnen und Priesterinnen. Als Atheist glaubte man nur an sich selbst und daß man nach seinem Tod zu Wurmfutter wurde und wahrscheinlich bereits zu Lebzeiten Wurmfutter war. Buddhisten und Moslems und Agnostiker waren andere Typen, die man sein konnte, sofern es einem gelang, jemanden aufzutreiben, der es einem erklärte, damit man wenigstens eine grobe Vorstellung davon bekam, was das überhaupt war. Geordie hatte niemanden gefunden, der es ihm erklären konnte, und er bezweifelte ernsthaft, daß er jemals irgendwem begegnen würde, der es konnte.
    Doch als Humanist glaubte Geordie, daß all die Liebe, die Menschen für Gott empfanden, erheblich sinnvoller investiert wäre, wenn die Menschen sie sich gegenseitig schenkten, statt Gott zu geben. Also glaubte Geordie alles

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