Voll erwischt
mehr, zum Beispiel Toast zu machen, manchmal auch Pilze oder Tomaten oder Bohnen. Seit der Neuigkeit über seinen Blutdruck brutzelte Sam nur noch für Geordie, denn ohne bekam Geordie, was er seine Entzugserscheinungen nannte. Sich selbst röstete Sam nur noch zwei Scheiben Toast, die er mit Orangenmarmelade bestrich. Er brühte immer noch eine große Kanne Kaffee auf, die sie gemeinsam leerten, bevor sie ins Büro aufbrachen.
Während Sam den Tisch deckte, nahm Geordie eine Kassette aus einem erst kürzlich erworbenen Wandregal und schob sie ins Tapedeck. Er drückte auf Play und sah das Gerät an, bis Paul Simons Stimme aus den Boxen kam. Sam blieb am Tisch stehen und legte den Kopf leicht auf eine Seite. Er kniff die Augen zusammen, um sich zu konzentrieren, dann lächelte er, als er den Song erkannte, und sang beim Refrain mit: «Still crazy...»
«Mein Gott», sagte er. «Das hab ich seit Jahren nicht mehr gehört.»
«Es war unsichtbar», sagte Geordie. «Jedesmal, wenn du eine Kassette da rausholst, starrt dich dieses Tape direkt an. Aber du siehst es nicht, weil es unsichtbar ist.» Er öffnete eine Dose Hundefutter und löffelte es in Barneys Schüssel, dann setzte er sich an den Tisch und machte sich über Eier und Speck her.
Sam griff nach der Marmelade und zog das Glas zu sich. «Und warum ist das so, o Maestro?» fragte er.
Geordie antwortete mit einem Mund voll Frühstücksspeck. «Weil», sagte er, «es nicht in deinem Kopf ist. Du hast andere Dinge im Kopf, wie zum Beispiel das Tape, das du vielleicht gerade suchst, oder was du morgen machen wirst, oder Sex oder Essen oder was weiß ich, deine Oma oder der Zustand der Welt. Aber jedenfalls nicht dieses Band, dieses ganz bestimmte eine Band. Es ist nicht in deinem Kopf, und deshalb kannst du es auch nicht sehen. Es ist unsichtbar.»
«Aha», meinte Sam, «demnach ist es also nicht möglich, etwas zu sehen, solange es nicht als Vorstellung existiert?»
Geordie schien verwirrt. «Keine Ahnung. So weit hab ich noch nicht gedacht.»
«Aber genau das hast du gerade gesagt.»
«Gedacht habe ich», erklärte Geordie, «daß manchmal Dinge so sichtbar sind, so sehr zur Szenerie gehören, daß man nichts anderes mehr sehen kann. Und manchmal könnte dasselbe Ding, das alles andere verdeckt hat, dieses Ding könnte dann unsichtbar werden. Man verliert es aus den Augen, und es wird unsichtbar. Verstehst du, was ich meine?»
«Ja.» Sam nickte und kaute auf seinem Toast mit Marmelade. Donna, Sams erste Frau, war so gewesen, so sichtbar, daß er nichts anderes mehr sehen konnte. Als sie dann von diesem Auto überfahren wurde, verschwand sie für immer. Er sah Geordie über den Tisch an, und Geordie erwiderte den Blick, als verstünde er, doch sie wechselten keine Worte.
«Meine Mutter war so», sagte Geordie. «Als ich noch klein war, war sie immer da.» Er schüttelte den Kopf und spießte mit seiner Gabel das restliche Ei auf. «Einmal bin ich zurück nach Sunderland», fuhr er fort. «Hab ich dir das schon mal erzählt? Ich habe das Haus gefunden, in dem wir mal gewohnt haben, ich und meine Mutter und mein Bruder, bevor sie sich von der Bildfläche verabschiedete. In dem Haus wohnte eine Familie. Kleine Kinder, ein Junge und jede Menge Mädchen. Ich habe sie eine Weile beobachtet.» Er senkte den Blick auf seinen Teller, und drüben vor der Spüle beendete Barney seine Mahlzeit und schlenderte zu Geordies Stuhl. Er drückte sich gegen das Bein des Jungen, und Geordie griff nach unten und tätschelte dem Hund den Kopf. Dann schaute Geordie wieder zu Sam auf und lächelte ihn falsch an. «Von meiner Mutter keine Spur», sagte er. «Es war wirklich enttäuschend. Es gab keinerlei Hinweise darauf, daß sie oder ich oder irgendwer von uns jemals dort oder auch nur in der Nähe dieses Ortes gewesen war. Verstehst du, was ich meine? Es war, als hätte es uns nie gegeben.»
«Mir kommen gleich die Tränen», sagte Sam.
Geordie lächelte, und Sam fand, daß er wie ein Motorradfreak aussah, dem der Gerichtsvollzieher gerade die heißgeliebte Harley abgenommen hatte. Er hielt den Blickkontakt.
Schließlich gab Geordie auf, und sein Lächeln milderte sich zu etwas Echtem. «Ach, geh doch zum Teufel», sagte er.
«Schon unterwegs», erwiderte Sam.
«So empfinde ich heute nicht mehr für meine Mutter», sagte Geordie. «Ich weiß, früher war’s so, also, ich hab ihr vorgeworfen, daß sie weggelaufen ist und uns verlassen hat. Aber so empfinde ich heute
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