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Voll erwischt

Voll erwischt

Titel: Voll erwischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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nicht mehr. Ich kann mich sogar noch an die Zeit davor erinnern, als ich sehr klein war. Muß wohl als Kleinkind gewesen sein. Und ich weiß, daß sie mich damals geliebt hat. Und ich habe Bilder in meinem Kopf, ich weiß, das alles klingt ziemlich sentimental, aber ich habe diese Bilder in meinem Kopf, wie sie mich ansieht oder sich zu mir beugt, um mich zu versorgen. Wenn ich zum Beispiel gefallen war und mir das Knie aufgeschlagen hatte oder wenn ich krank war. Und ihr Gesicht war ganz nah vor mir, so dicht, daß ich nicht sagen konnte, wo ich aufhörte und sie anfing. Und in dem Bild bin ich sie und sie ist ich, es gibt keine Trennung zwischen uns. Zusammen sind wir ein Es.
    Ich habe mit Celia darüber gesprochen», fuhr er fort, «und sie sagte, das wäre Liebe. Sie sagte, für sie klinge das wie eine religiöse Liebe. So was wie Sufismus oder Pantheismus.
    Jedenfalls glaube ich nicht, daß sie fortgegangen ist, weil sie uns nicht mehr geliebt hat. Wahrscheinlich dachte sie, wir wären ohne sie besser dran.» Er griff nach unten und tätschelte wieder Barneys Kopf.
    «Und was glaubst du?» fragte Sam.
    «Ich glaube, sie hat sich geirrt», sagte Geordie. «Wenn’s nach mir gegangen wäre, hätte es keine Wahl gegeben. Lieber hätte ich sie unter allen Umständen behalten, als sie gar nicht mehr zu haben.» Er schüttelte den Kopf. «Und weißt du, was ich noch glaube?» Er unterbrach sich, um sich dafür zu beglückwünschen. «Ich glaube, sie versucht heute, uns zu finden. Ich meine, nicht dauernd, sie versucht nicht voller Verzweiflung, uns zu finden, indem sie die Straßen von Sunderland abgrast. Aber es tut ihr leid, daß sie gegangen ist, und sie würde die Zeit wirklich gern zurückdrehen. Und ich mache jede Wette, sie ist auch bei diesem Haus gewesen und hat die Leute dort gefragt, diese Familie, ob sie vielleicht wüßten, wo ich bin.»
    «Hast du eine Nachricht hinterlassen?»
    «Nein», sagte Geordie. «Ich habe keine message.» Er lachte, als er die Naivität seiner Bemerkung erkannte. «Damals hatte ich noch keine feste Anschrift. Ich konnte keine Adresse oder so was hinterlassen, verstehst du, keine Telefonnummer oder den Namen von jemandem, mit dem sie sich in Verbindung setzen könnte. Aber jetzt kann ich, und ich werde es nachholen.»
    «Was würdest du tun?» fragte Sam. «Was würdest du tun, wenn sie hier reinkäme? Oder wenn du die Straße entlanggehst und ihr begegnen würdest?»
    «Was? Jetzt?»
    «Ja, heute.»
    Er lächelte bei dem Gedanken. «Ich wäre aufgeregt», sagte er. «Aber ich würde cool bleiben. Zuerst würde ich echt cool bleiben und, also, es erst mal austesten.» Er stand auf und ging um den Tisch. Barney folgte ihm, dachte vielleicht, es wäre Zeit für seinen kleinen Morgenspaziergang, aber Geordie war völlig mit dem Gedanken an seine Mutter beschäftigt. «Ich würde sie in den Arm nehmen», sagte er. «Und meine Wange an ihre legen. Und ich würde sie zuerst ganz behutsam drücken, dann ein bißchen fester.» Er begann es vorzuführen, während er weitersprach. Sam schaute zu, wie er die unsichtbare Frau behandelte. «Dann würde ich ihr einen Kuß auf die Stirn geben, vielleicht auf die Augen. Ich weiß nicht, aber ich würde sie auf Armeslänge von mir halten und sie mir richtig ansehen. Dann würde ich sie wieder umarmen, diesmal richtig fest, und sie von den Füßen reißen. Und ich würde dieses Wort sagen, diesen Namen, Mum, und ich würde es immer wieder sagen. Mum, Mum, Mum. » Geordie schloß die Augen, um seinen Vorstellungen näher zu sein. «Wahrscheinlich würden wir dann Spazierengehen», sagte er. «Wir alle zusammen, mit Barney. Und ich würde ihr die Stadt zeigen, alle Stellen, die ich kenne. Dann würden wir hierher zurückkommen, und ich würde ihr eine Tasse Tee machen, ihr ein paar Bänder Vorspielen, ihr ein paar von den Büchern zeigen, die ich gelesen habe.» Er drehte sich zu dem älteren Mann um und sagte: «Scheiße, Sam, das wär toll.»
     
    Geordie fuhr. Sam saß neben ihm und ballte beide Hände zu Fäusten, spürte, wie sich Gesicht und Hals anspannten und unbeweglich wurden. «Ganz locker», sagte er zu Geordie. «Immer mit der Ruhe. Wir haben’s nicht eilig.»
    Der Junge trug seine Lederjacke mit dem Einschußloch im Rücken. Sowohl Sam als auch Celia hatten angeboten, sie zu reparieren, aber Geordie hatte abgelehnt. «Mir macht’s nichts aus, daß da ein Einschußloch drin ist», sagte er. «Kein Problem.» Es machte ihm nichts aus!

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