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Voll erwischt

Voll erwischt

Titel: Voll erwischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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Ennui. Hab ich recht? Ennui? Ich muß das wegbekommen. Und das mache ich, indem ich ihn zur Strecke bringe und ihm gegenübertrete. Das ist es, was ich brauche.»
    Sam schürzte die Lippen und schüttelte langsam den Kopf. «Ich auch», sagte er. «Ich will ihn auch zur Strecke bringen und ihm gegenübertreten. Ich will in seine Augen sehen.» Dann kam ihm ein Gedanke. «Je länger ich hier bin», begann er. «Auf der Welt, meine ich, hier mein Leben lebe. Es ist jetzt schon ein halbes Jahrhundert, und so langsam begreife ich, daß ich nie erfahren werde, wer ich wirklich bin. Ich werde es nie wirklich wissen. Ich kann nur hoffen, daß ich mich gelegentlich als Spiegelbild in den Augen eines anderen Menschen sehe, oder im Bewußtsein eines anderen Menschen. Und dieser Kerl, der Gus umgebracht hat, oder besser gesagt, derjenige, von dem ich glaube, daß er Gus ermordet hat, diesem Mann ins Gesicht zu sehen bedeutet nicht einfach nur, jemandem ins Gesicht zu sehen, der mir äußerlich ist. Mir selbst muß ich mich stellen, Marie, und für dich gilt das gleiche. Wenn du ihn schließlich vor Augen hast, dann wird es kein Mensch sein, ein anderes Lebewesen da draußen, das du plötzlich eingeholt hast. Es wird das gleiche Du sein, das nach ihm sucht. Daher rührt deine tiefe Beunruhigung.»
    «Bevor du mich gefragt hast, was ich tun werde», sagte sie, «wußte ich es nicht. Ich habe nicht darüber nachgedacht. Aber als du mir die Frage stelltest, da wußte ich es sofort, ohne nachdenken zu müssen. Und genau das will ich jetzt auch tun. Genau so will ich es machen. Ohne nachzudenken, ohne Reflexion, ohne irgendein philosophisches Suchen. Verstehst du das?»
    «Nein», sagte Sam. «Aber von solchen Kleinigkeiten lasse ich mich nie auf halten.»
     
    Barney schaute zu Sam auf und fixierte ihn mit einem Auge, was seine Art war zu sagen: «Läßt du mich schon wieder allein im Auto oder darf ich diesmal raus und mich mal strecken?» Sam sagte: «Komm», und schon sprang der Hund auf und war wie der Blitz aus dem Wagen.
    In der Innenstadt wimmelte es von Polizei und Streifenwagen. Im großen und ganzen hatten sie alles für sich allein, denn die Einwohner blieben in der Sicherheit ihrer eigenen vier Wände, und zahlreiche Touristen sagten ihre Hotelreservierungen ab und fuhren statt dessen nach Edinburgh und London. Die einzigen Leute, die jetzt noch nach York kamen, waren zum einen diejenigen, die glaubten, sie könnten vielleicht eine Leiche oder einen verstümmelten Körper sehen, und zum anderen solche, die sich selbst umbringen wollten.
    Jennie und Celia waren nicht zu Hause. Er holte den Schlüssel unter der Mülltonne hervor und schloß sich auf. Barney folgte schwanzwedelnd. Marie hatte Sam überrascht, und bei dem Gedanken schüttelte er den Kopf, denn so war es schon immer gewesen. So lange sie sich kannten, überraschte Marie ihn immer wieder. Er war überrascht gewesen, als sie sich mit Gus angefreundet hatte, und noch mehr überrascht, als sie zusammengezogen waren. Wann immer er sie besuchte und sah, daß sie immer noch zusammen waren, war er von neuem überrascht. Und nachdem Gus jetzt tot war und Marie den Entschluß gefaßt hatte, seinen Mörder zur Strecke zu bringen, raten Sie mal? Der alte Sammy schüttelte den Kopf und fragte sich, ob er diese Frau wirklich kannte.
    Er setzte sich in Celias Sessel, derjenige mit dem Kopfbezug aus Spitze und dem Geruch nach alter Frau, und wiederholte zweimal Maries Wort. Ennui... Ennui ... Und er wußte genau, er würde sofort einschlafen, wenn er es nur noch ein einziges Mal sagte. Ennui...
    Es fing wie einer dieser Angstträume an, bei denen man nach Osten unterwegs ist, aber eigentlich nach Westen muß. Man hat keinen Kompaß dabei, sondern weiß einfach, daß man sich in die falsche Richtung bewegt, und doch scheint man absolut nichts dagegen tun zu können. Man weiß genau, daß man träumt, kann aber nicht aufhören, sich Sorgen zu machen. Am liebsten würde man die Augen aufmachen und noch mal ganz von vorne anfangen.
    Dann verschwand alle Besorgnis. Ziemlich unvermittelt war da Gus’ Leiche und die Erkenntnis, daß es kein Angsttraum war, sondern ein ausgewachsener Alptraum. Denn die Leiche von Gus, wie überhaupt die Leiche von jedem in einem solchen Traum, würde sich verwandeln. Es war eine Leiche, und schon bald würden es z wei Leichen sein, und keine davon war Gus. Er versuchte fortzuschauen, sich aus diesem Traum und seiner angstbesetzten Szenerie

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