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Voll erwischt

Voll erwischt

Titel: Voll erwischt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Baker
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hatte so viele Höhen und Tiefen erlebt, sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß jemand nicht damit fertig wurde.
    Jedenfalls», fuhr Jennie fort, «fühlte ich mich gleichzeitig traurig und befreit. Es bedeutete, daß ich meinem Mann sagen konnte, er solle mit seinem Flittchen Leine ziehen - zwei, wie sich später herausstellte - Flittchen, meine ich. Eine an jedem Ende der Stadt. Und gleichzeitig würde ich meine Mutter nicht unnötig aufregen.
    Alle Psychologen haben Mutterprobleme», sagte sie. «Ich bin da keine Ausnahme in meiner Berufsgruppe. Mutter- oder Vaterprobleme. Die besten Psychologen haben beides.» Sie kniff einen Moment die Lippen zusammen, dann griff sie nach ihrem Glas Limonade. «Mein Dad war clever», sagte sie. «Er brachte mir das Armdrücken bei. Ich glaube, sonst hat er mir nicht besonders viel beigebracht. Aber Armdrücken hat er mir beigebracht, als wäre ich ein Junge gewesen. Ich wurde ausgesprochen gut dabei, wir können ja später mal einen Wettkampf machen. Wahrscheinlich schlage ich dich.»
    «Das muß ich sehen», sagte Sam.
    «Aber erst später», sagte sie. «Ich weiß, daß du mir nicht glaubst. Das ist bei Männern so. Du wirst staunen. Jedenfalls, Dad hat mich angerufen, ich habe meinen Mann verlassen, bin ins Auto gestiegen und zur Beerdigung raufgefahren. Dad war zu Hause, und ich bin allein zur Leichenhalle gegangen. Um mich ein letztes Mal von ihr zu verabschieden, sie noch einmal zu sehen, bevor sie in die Erde gelegt wurde. Das war am Morgen der Beerdigung. Die Beerdigung war dann nachmittags.
    Und sie war’s nicht.
    Sie haben mich in diesen Raum geführt, der Sarg stand nicht auf dem Boden - muß wohl eine Art Sockel gegeben haben, jedenfalls sah es aus, als schwebte er in der Luft, würde von nichts gestützt. Und überall Blumen. Du weißt, wie so was arrangiert wird? Und in dem Sarg lag eine Frau, der Körper einer Frau, die ungefähr doppelt so groß war wie meine Mutter, doppelt so groß wie zu ihren Lebzeiten.» Jennie lachte. Es war ein merkwürdig nervöses Lachen, wie es manchmal im Film eingesetzt wird, um zu zeigen, daß die Heldin neurotisch ist. «Ich schaute mich in dem Raum um», sagte sie. «Ich erinnere mich, diese gewaltige Frau angesehen und gedacht zu haben: Dann habe ich mich umgesehen, weil ich wissen wollte, ob es noch andere Särge gab oder ob es eine andere Stelle gab, an der man sie aufgebahrt haben könnte. Aber da war nichts außer diesem weißen Sarg mit den Silberbeschlägen und einer gigantischen Leiche, die aber auch gar nichts mit mir zu tun hatte.»
    «Mein Gott», sagte Sam.
    «Also bin ich zurück in den Empfangsbereich, und da war diese Frau, erheblich jünger als ich, ganz in Schwarz. Sie trug ein enges schwarzes Kostüm mit einem kurzen Rock, der für ein Bestattungsunternehmen einen Hauch zu kurz war. Du verstehst, was ich meine, ja? Es war nur eine Kleinigkeit. Wäre der Rock vielleicht nur einen, anderthalb Zentimeter länger gewesen, niemandem wäre etwas aufgefallen, aber wie die Dinge lagen, bemerkte man es. Nein, sie war auch nicht ganz in Schwarz, sie trug eine weiße Bluse mit kleinen, weißen aufgestickten Rosen.»
    «Verdammt, es interessiert mich nicht, was sie getragen hat», sagte Sam. «Was ist mit der Leiche passiert?»
    Das brachte Jennie ein paar Herzschläge aus dem Konzept. «Das ist es, war mir aufgefallen ist», sagte sie. «Was sie getragen hat. Das ist es, was ich seit damals behalten habe. Wie diese Frau gekleidet war.
    Ich sagte ihr, dort drinnen liege nicht meine Mutter, und sie entschuldigte sich, sagte, sie werde sich diesbezüglich sofort er-kundigen. Sie hatten diese neuen Sessel, oder zumindest kamen sie mir neu vor, ausgesprochen üppig gepolstert, aber mit einem Bezug aus Segeltuch oder irgendeinem anderen groben Material. Wenn man sich setzte, dann war der erste Eindruck Bequemlichkeit, ja sogar Luxus, aber nach einem Augenblick begann man zu begreifen, daß dieser spezielle Luxus eine rauhe Nuance besaß. Es war irgendwie beunruhigend, als mir das bewußt wurde, aber später, nachdem ich die Zeit hatte, alles zu verdauen, fand ich, daß jeder echte Luxus Ecken und Kanten besitzt. Findest du nicht auch?
    Sie ließ mich jedenfalls so lange allein dort sitzen, daß ich schon fast soweit war, sie suchen zu gehen. Ich hörte, wie irgendwo in den Tiefen des Gebäudes ein oder zwei Türen geöffnet und geschlossen wurden, und einmal brüllte jemand etwas,

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