Vollbeschaeftigt - das neue deutsche Jobwunder
Weichenstellungen und nicht wirtschaftlich rationaler Anpassungen. Im Übrigen bleibt die Frage, ob es nicht gerade im Bereich der Energietechnik für den globalen Wettbewerb sehr wichtig ist, dass sich relativ viele Konkurrenten in einzelnen Sparten tummeln; denn die Branche hat wegen des technischen und ökonomischen Gewichts von Größenvorteilen eine gewisse Neigung dazu, in monopolistische Strukturen abzurutschen.
In jedem Fall ist eines klar: Die derzeitige Energiepolitik in Deutschland hat ohnehin nicht zum Ziel, eine optimale technologische Arbeitsteilung der Industrieländer in den Weltmärkten zu erreichen. Insofern sind Folgen dieser Art eher als zufälliges Nebenergebnis denn als Ziel einer durchdachten Strategie zu interpretieren. Das Gleiche gilt für den Technologietransfer in Schwellen- und Entwicklungsländer. Er hat bei der bisherigen energiepolitischen Diskussion nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Im Vordergrund steht stattdessen ganz eindeutig die Vorstellung, dass Deutschland in der Welt möglichst schnell mit gutem Beispiel vorangehen müsse – als vorbildlicher Orientierungspunkt für die künftige Entwicklung in anderen Ländern. Ein Vorbild, das ist zunächst eine moralische oder erzieherische Kategorie. Ihr wird häufig noch eine wirtschaftliche als Kräftigung beigegeben. Sie lautet: Sobald irgendwann die Entwicklungs- und Schwellenländer dem Vorbild folgen, wird Deutschland bereits in jenen Zukunftstechnologien eine Führungsrolle einnehmen, die dann weltweit maßgebend sind – und dies wird seine Prosperität steigern. Auf sehr lange Sicht gibt es also wieder einen Gleichklang zwischen moralischen Argumenten des guten Beispiels und den ökonomischen Argumenten der vorausschauenden Technologie- und Industriepolitik.
So weit im Wesentlichen die gängige Interpretation der Lage, wie sie engagierte Befürworter der Energiewende vertreten. Sie liefert – jenseits von „green growth“ – wohl das eigentlich fundamentale Plädoyer für die ambitionierteste Industrie- und Technologiepolitik, die es bisher in der Geschichte der Marktwirtschaft in Deutschland gegeben hat. Sie läuft auf eine neue Definition des deutschen Wirtschaftssystems hinaus: Nicht mehr „soziale Marktwirtschaft“, sondern „ökologische und soziale Marktwirtschaft“, wie ja ihre Verfechter gerne betonen. Nimmt man sie in ihrem Anspruch ernst, so bedeutet sie eigentlich in zentralen Punkten das Ende der sozialen Marktwirtschaft – und nicht nur ihre Ergänzung um eine zusätzliche ökologische Ordnungskomponente. Um die Tragweite des Plädoyers zu ermessen, müssen wir im Folgenden einen kleinen Ausflug auf die sozialphilosophische Ebene der Diskussion unternehmen.
Erinnern wir uns: Der zentrale Grund für die Überlegenheit einer Marktwirtschaft gegenüber einer umfassenden staatlichen Lenkung liegt in dem, was Friedrich Hayek treffend die „Anmaßung des Wissens“ genannt hat. 116 Das Preissystem einer Marktwirtschaft dient dazu, die relative Knappheit der Waren und Dienstleistungen in einer Volkswirtschaft anzuzeigen. Damit werden Signale gesetzt für den effizienten Einsatz der Ressourcen: Billiges wird mehr nachgefragt und weniger produziert, Teures wird mehr produziert und weniger nachgefragt. Dies führt zu dem, was Ökonomen im Fachjargon eine „effiziente Allokation der Ressourcen“ nennen. Das ist ein statischer Aspekt, der wichtig genug ist, wie die geradezu grotesken Auswüchse der Ineffizienz der real existierenden Planwirtschaften in der Vergangenheit (und heute noch in Kuba und vor allem Nordkorea) zeigen. Langfristig noch viel wichtiger ist allerdings der dynamische Aspekt, also die Lenkung der Entstehung neuen Wissens durch das Preissystem: Dort, wo es sich aufgrund hoher Preise lohnt, wird mehr geforscht und deshalb auch mehr entdeckt als dort, wo die Preise niedrig sind. Wer die Lenkung seiner Innovationskraft von diesen Preissignalen abschottet, der läuft Gefahr, einen Blindflug der Forschung in Gang zu setzen. Auf lange Sicht kann dies eine Wirtschaft fast ihre gesamte industrielle Innovationskraft kosten, und zwar nicht, weil ihre Forscher und Ingenieure schlecht arbeiten, sondern weil sie die völlig falschen Signale erhalten. In der Tat spricht die Erfahrung mit Ostdeutschland und den postsozialistischen Ländern nach 1990 nachdrücklich dafür, dass der (dynamische) Verlust an Innovationskraft den viel größeren Flurschaden darstellt als die (statische) Ineffizienz, die
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