Vollendet (German Edition)
die Latrine benutzt, bleibt bitte unter der Tragfläche«, erklärt er. »Ihr habt es so weit geschafft, da wollen wir doch nicht, dass ihr euch einen Sonnenstich holt.«
Nun, da alle das Flugzeug verlassen haben, sucht Risa verzweifelt die Menge ab, bis sie Connor endlich findet. Gott sei Dank! Sie will schon zu ihm gehen, als ihr einfällt, dass sie ihre Scheinromanze offiziell beendet haben. Sie verständigen sich über zwei Dutzend Köpfe hinweg mit einem kurzen Blick und einem Nicken. Das Nicken sagt alles: Die Ereignisse vom Vortag sind Geschichte. Heute beginnt alles neu.
Dann sieht Risa auch Roland. Als sich ihre Blicke begegnen, grinst er sie an. Auch dieses Grinsen spricht Bände. Risa sieht weg. Sie wünschte, er wäre in dem Container gewesen, in dem alle erstickt sind. Für diesen Gedanken müsste sie sich eigentlich schämen, doch sie verspürt keinerlei Gewissensbisse.
Ein Golfcaddie fährt zwischen den Flugzeugreihen auf sie zu, gefolgt von einer roten Staubfahne. Der Fahrer ist ein Jugendlicher, daneben sitzt ein Militärangehöriger. Keine geklauten Militärbestände – der ist echt. Statt Grün oder Khaki trägt er Marineblau. Er ist die Hitze offenbar gewöhnt, denn trotz seiner warmen Uniform scheint er nicht zu schwitzen. Der Wagen hält vor der Schar jugendlicher Flüchtlinge an. Der Fahrer steigt zuerst aus und gesellt sich zu den Vieren, die sie in Empfang genommen haben. »Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten!«, sagt der mit dem Megafon. »Der Admiral möchte zu euch sprechen. Wenn ihr wisst, was gut für euch ist, hört ihr zu.«
Der Mann steigt aus dem Golfcaddie. Der Junge bietet ihm das Megafon an, doch er winkt ab. Seine Stimme muss nicht verstärkt werden. »Ich möchte der Erste sein, der euch auf dem Friedhof willkommen heißt.«
Der Admiral ist jenseits der sechzig und sein Gesicht von Narben übersät. Erst jetzt fällt Risa auf, dass seine Uniform aus dem Krieg stammt. Sie weiß nicht mehr, ob die Gegner oder die Befürworter der Abtreibung diese Farbe trugen, aber das ist auch egal. Beide Seiten haben verloren.
»Ihr werdet hier eine Heimat haben, bis ihr achtzehn seid oder wir einen Gönner finden, der bereit ist, euch eine falsche Identität zu geben. Macht euch nichts vor: Was wir hier tun, ist zwar im höchsten Maße ungesetzlich, doch das heißt nicht, dass Gesetzlosigkeit herrscht. Hier gilt mein Gesetz.«
Er macht eine Pause, in der er mit möglichst vielen Jugendlichen Blickkontakt aufnimmt. Vielleicht hat er sich vorgenommen, sich jedes Gesicht einzuprägen, bis seine Rede vorüber ist. Risa hat den Eindruck, als könnte er das Wesen von jedem von ihnen mit einem einzigen intensiven Blick erfassen. Sie findet das gleichermaßen einschüchternd und beruhigend. In der Welt des Admirals fällt niemand durch die Maschen.
»Ihr seid alle für die Umwandlung vorgesehen, habt es aber geschafft zu fliehen und mithilfe meiner vielen Partner den Weg hierher zu finden. Mir ist egal, wer ihr seid. Mir ist egal, wer ihr sein werdet, wenn ihr hier wieder weggeht. Mir ist es nur wichtig, wie ihr euch während eures Aufenthaltes hier verhaltet. Während ihr hier seid, werdet ihr tun, was ich von euch erwarte.«
In der Menge hebt sich eine Hand. Es ist Connor. Risa wünschte, es wäre jemand anders. Der Admiral mustert ausgiebig Connors Gesicht, ehe er sagt: »Ja?«
»Also … wer sind Sie eigentlich?«
»Mein Name tut nichts zu Sache. Nur so viel: Ich bin ehemaliger Admiral der US-Marine.« Und dann grinst er. »Man könnte sagen, ich bin ein Fisch ohne Wasser. Das derzeitige politische Klima hat mich veranlasst abzudanken. Das Gesetz erwartet von mir, dass ich wegsehe, aber das habe ich nicht getan. Das werde ich auch nicht tun.« Dann wendet er sich wieder der Menge zu und sagt laut: »Unter meiner Aufsicht wird niemand umgewandelt.«
Jubel bricht aus unter den Versammelten, einschließlich der Jugendlichen in Khaki, die bereits zu seiner kleinen Armee gehören. Als der Admiral breit grinst, entblößt er eine Reihe ganz und gar perfekter Zähne. Die Wirkung ist sonderbar, denn während seine Zähne blendend weiß blitzen, wirkt er ansonsten eher verbraucht.
»Wir sind hier eine Gemeinschaft. Ihr werdet die Regeln erlernen, und ihr werdet sie befolgen. Andernfalls müsst ihr die Konsequenzen tragen, wie in jeder Gesellschaft. Wir haben hier keine Demokratie, sondern eine Diktatur. Ich bin euer Diktator. Das ist pure Notwendigkeit. Nur so kann ich euch verstecken
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