Vollendet (German Edition)
begeistert. Connor ist wütend.
Lev hat ihn noch nicht gesehen, und das ist gut so, denn so hat Connor Gelegenheit, Lev genau in Augenschein zu nehmen. Das ist nicht mehr das adrette Zehntopfer, das er vor mehr als zwei Monaten aus dem Auto seiner Eltern gezerrt hat. Der Junge hat langes, ungepflegtes Haar und wirkt abgebrühter. Er trägt nicht mehr das rituelle Weiß, sondern eine abgerissene Jeans und ein schmutziges rotes T-Shirt. Connor will ihn vorbeiziehen lassen, um diesen neuen Eindruck erst zu verarbeiten, aber da entdeckt ihn Lev und grinst ihn sofort an. Auch das ist ungewohnt, denn in der kurzen Zeit, in der sie zusammen unterwegs waren, hat Lev Connors Gesellschaft nicht wirklich zu würdigen gewusst.
Lev geht auf Connor zu.
»Bleib in der Reihe!«, befiehlt Amp. »Zum Vorratsflieger geht es hier lang.«
Connor macht eine beschwichtigende Handbewegung. »Ist schon okay – ich kenne ihn.«
Amp gibt nur widerstrebend nach. »Aber bring ihn gleich zum Vorratsflieger.« Dann wendet er sich wieder seinen Schäfchen zu.
»Na, wie geht’s denn so?«, fragt Lev. Einfach so. Wie geht’s denn so . Sie könnten auch alte Kumpels vom letzten Feriencamp sein.
Connor weiß, was er zu tun hat. Die Dinge zwischen ihm und Lev lassen sich nur auf eine Art wieder ins Lot bringen. Es ist wieder so eine instinktive Handlung, über die er nicht groß nachdenkt. Instinktiv, aber nicht irrational. Leidenschaftlich, aber nicht blindwütig. Den Unterschied kennt Connor mittlerweile.
Er holt aus und versetzt Lev einen Faustschlag aufs Auge. Nicht so stark, dass der Junge umkippt, aber doch heftig genug, um ein hässliches Veilchen zu hinterlassen. »Das ist dafür, was du uns angetan hast.« Dann, ehe Lev reagieren kann, tut Connor wieder etwas Unerwartetes. Er zieht Lev an sich und umarmt ihn fest, so, wie er seinen kleinen Bruder umarmt hat letztes Jahr, als er im Bezirksfünfkampf den ersten Platz belegt hatte. »Ich bin so froh, dass du am Leben bist, Lev.«
»Ja. Ich auch.«
Als er Lev loslässt, rechtzeitig, ehe es peinlich wird, sieht Connor, dass dessen Auge bereits anzuschwellen beginnt. »Komm mit, ich bringe dich zum Sanitätsflieger. Ich weiß schon, wer sich um dein Auge kümmern kann.«
Erst später an diesem Abend ahnt Connor, wie sehr sich der Junge wirklich verändert hat. Jemand rüttelt ihn mitten in der Nacht wach und hält ihm die Taschenlampe so nah vors Gesicht, dass es weh tut, als er die Augen öffnet.
»Hey! Was soll das?«
»Schsch«, sagt eine Stimme hinter dem Licht. »Ich bin es, Lev.«
Lev müsste eigentlich in dem Jet sein, in dem die Neuankömmlinge bleiben, bis sie ihren Teams zugeordnet werden. Sie haben strenge Anweisung, bei Nacht nicht nach draußen zu gehen. Lev lässt sich von Regeln offenbar nicht mehr beeindrucken.
»Was machst du hier?«, fragt Connor. »Weißt du überhaupt, was das für Ärger geben kann?« Noch immer kann er Levs Gesicht hinter dem grellen Licht nicht sehen.
»Du hast mich heute Nachmittag geschlagen.«
»Du hast es ja auch verdient.«
»Ich weiß, und das ist auch okay«, sagt Lev. »Aber schlag mich nie wieder, sonst wird es dir noch leidtun.«
Connor hat nichts in dieser Richtung geplant, aber auf ein Ultimatum reagiert er generell empfindlich.
»Ich schlage dich, wenn du es verdienst.«
Hinter dem Licht herrscht Stille. Schließlich antwortet Lev: »In Ordnung. Aber sei dir lieber sicher, dass ich es wirklich verdiene.«
Das Licht erlischt, und Lev geht. Connor kann nicht mehr schlafen. Jeder Wandler hat eine Geschichte, die man lieber nicht hören will. Lev jetzt anscheinend auch.
Zwei Tage später ruft der Admiral Connor zu sich. Offenbar hat er etwas zu reparieren. Er wohnt in einer alten 747, die vor vielen Jahren als Präsidentenmaschine gedient hatte – lange bevor die Jugendlichen hier überhaupt zur Welt gekommen sind. Sie hat keine Triebwerke mehr, und das Zeichen des Präsidenten wurde übermalt, scheint jedoch unter der Farbe noch durch.
Als Connor mit seiner Werkzeugtasche die Treppe nach oben steigt, hofft er, dass die Sache schnell erledigt ist. Wie jeder andere hier ist er irgendwie neugierig auf den Admiral und fragt sich, wie ein alter Präsidentenjet wohl von innen aussieht. Doch dass der Admiral ihn so direkt im Blick hat, jagt ihm eine Riesenangst ein.
Als er durch die Tür tritt, sieht er ein paar Jugendliche putzen. Es sind jüngere Kinder, die Connor nicht kennt. Er hat erwartet, die Champs hier anzutreffen,
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